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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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alle fünfhundert Meter kletterte Jean-Baptiste auf seinen Rücken. »Da lang«, sagte er und stieg wieder herunter.
    Das hatte Jean-Baptiste getan. Sich hochschwingen und Ausschau halten, wo der Dreizack entlanggegangen war, seine blutige Fährte aufspüren. Wie ein Hund, wie ein Gott, dachte Raphaël. Zum zweitenmal brachte Jean-Baptiste ihn ins Dorf zurück.

56
     
    An diesem Abend war es Josette, die sich ums Feuer kümmerte. Adamsberg hatte Danglard und Retancourt angerufen und dann den ganzen Nachmittag geschlafen. Abends hatte er, noch dösig, seinen Platz vor dem Kamin eingenommen und schaute nun zu, wie die Hackerin gorkelte und mit einem kleinen zündelnden Ast spielte. Sie malte glühende Kreise und Achten ins Halbdunkel. Die orangefarbene Spitze kreiste zitternd, und Adamsberg fragte sich, ob die Rute, wie der Holzlöffel in der Kasserolle mit der Crème, die Macht hatte, die Klümpchen aufzulösen, all diese Klümpchen, die sich da noch dicht um ihn drängten. Josette hatte Turnschuhe angezogen, die er noch nie an ihr gesehen hatte, blau mit einem goldenen Streifen an der Seite. Wie die goldene Sichel im Sternenfeld, dachte er.
    »Könnten Sie mir die Rute mal geben?« fragte er.
    Adamsberg tauchte die Astspitze tief in die Glut und schwenkte sie dann in der Luft.
    »Das ist hübsch«, sagte Josette.
    »Ja.«
    »Man kann keine Vierecke in die Luft malen. Nur Kreise.«
    »Das ist nicht schlimm, Vierecke mag ich auch gar nicht so sehr.«
    »Raphaëls Verbrechen war ein großer viereckiger Riegel«, sagte Josette versuchsweise.
    »Ja.«
    »Und heute ist er aufgesprungen.«
    »Ja, Josette.«
    Paff, paff, paff, und Explosion, dachte er.
    »Aber ein anderer ist noch da«, fuhr er fort. »Und wir können nicht weiter gehen, als wir schon gegangen sind.«
    »In den verborgenen Kanälen gibt es kein Ende, Kommissar. Sie sind so angelegt, daß man von einem Ort zum anderen gelangen kann. Alle sind miteinander verbunden, von Weg zu Weg, von Tür zu Tür.«
    »Nicht immer, Josette. Vor uns liegt der undurchdringlichste aller Riegel.«
    »Welcher?«
    »Der meines erstarrten Gedächtnisses, dort am Grunde des Sees. Meine Erinnerung, die unter den Steinen verschüttet liegt, meine eigene Falle, mein Sturz auf dem Pfad. Den Riegel kann kein Hacker sprengen.«
    »Riegel für Riegel und eins nach dem anderen, das ist die Methode des guten Hackers«, sagte Josette und schob die verstreute Glut in die Mitte der Feuerstelle zurück. »Man kann nicht Tür Nummer neun öffnen, bevor man nicht Nummer acht entriegelt hat. Verstehen Sie das, Kommissar?«
    »Aber gewiß, Josette«, sagte Adamsberg freundlich.
    Josette räumte weiter die brennenden Stückchen an das lodernde Scheit heran.
    »Vor dem Riegel der Erinnerung«, fuhr sie fort und zeigte mit dem Ende der Feuerzange auf ein Kohlenstück, »liegt noch jener, wegen dem Sie sich in Hull und auch gestern abend betrunken haben.«
    »Aber der ist gleichfalls durch eine unüberwindliche Schranke gesichert.«
    Josette schüttelte störrisch den Kopf.
    »Ich weiß, Josette«, seufzte Adamsberg, »daß Sie zur Entspannung sogar mal beim FBI eingedrungen sind. Aber die Riegel des Lebens kann man nicht knacken wie die in den Computern.«
    »Da gibt’s keinen Unterschied«, entgegnete Josette.
    Er streckte seine Beine zum Kamin hin, während er den Ast langsam in der Luft kreisen und die Hitze der Flammen durch seine Schuhe kriechen ließ. Die Unschuld seines Bruders kehrte in einer langsamen Bumerangkurve zu ihm zurück, sie verrückte ihn von den gewohnten Markierungen, veränderte seinen Blickwinkel und eröffnete ihm verbotene Gegenden, in denen die Welt unmerklich ihr Gefüge zu verändern schien. Welches Gefüge, wußte er nicht genau. Er wußte nur, daß er zu anderen Zeiten, ja gestern noch, die Geschichte von Camille, dem Mädchen aus dem Norden, niemals einer gebrechlichen alten Hackerin in blaugoldenen Turnschuhen anvertraut hätte. Was er nun aber tat, von den Anfängen bis zu seinem Säufergespräch am gestrigen Abend.
    »Sehen Sie«, meinte Adamsberg am Ende. »Da ist kein Durchkommen.«
    »Dürfte ich die Rute wiederhaben?« fragte Josette schüchtern.
    Adamsberg gab ihr den Zweig. Sie entfachte erneut seine Spitze im Feuer und fuhr mit ihren zittrigen Kreisen fort.
    »Warum suchen Sie diesen Durchgang, wenn Sie ihn doch selbst versperrt haben?«
    »Ich weiß nicht. Weil von dorther wahrscheinlich Luft weht, und ohne Luft kommt’s zum Erstickungstod oder zur

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