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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Metern, die er bis zum Wagen brauchte, würden die Cops nicht reagieren. Zumal sie um elf Uhr bereits überzeugt wären, daß er geflohen war.
    »Das war leicht«, sagte Retancourt und lächelte noch immer, ohne daß die bevorstehenden Maßnahmen sie zu beschäftigen schienen.
     
    Um zehn nach neun saß der Lieutenant bereits im Badewasser, und Adamsberg stand plattgedrückt hinter der Tür, beide vollkommen still. Adamsberg hob langsam seinen Arm, um einen Blick auf seine Uhren zu werfen. Neun Uhr und vierundzwanzigeinhalb Minuten. Drei Minuten später kamen die Cops ins Zimmer. Retancourt hatte ihm geraten, er solle sich zwingen, langsam zu atmen, und er zwang sich.
    Das Zurückweichen der Bullen vor dem offenen Badezimmer und Retancourts Schimpftirade fanden wie vorgesehen statt. Der Lieutenant schlug ihnen die Tür vor der Nase zu, und kaum zwanzig Sekunden später hatten sie die Nahkampfstellung mit Flunderhaftung eingenommen. Mit übellauniger Stimme gab Retancourt die Erlaubnis, einzutreten und das Ganze, in Gottes Namen, so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Adamsberg klammerte sich fest um ihre Taille und an den Gürtel, seine Füße berührten den Boden nicht, und seine Wange hielt er fest an den nassen Rücken gedrückt. Er hatte gemeint, sein durchgeweichter Lieutenant würde sofort zusammenbrechen, sobald er seine Füße vom Boden gelöst hätte, doch nichts dergleichen geschah. Der von Retancourt angekündigte Pfeilereffekt kam voll zur Wirkung. Er fühlte sich so sicher hängen wie an einem Ahornstamm. Der Lieutenant schwankte nicht einmal und mußte sich auch nicht an der Wand abstützen. Sie stand aufrecht, die Arme über ihrem Bademantel verschränkt, ohne daß auch nur einer ihrer Muskeln gezittert hätte. Dieses Gefühl vollkommener Standfestigkeit verblüffte Adamsberg und beruhigte ihn urplötzlich. Er hatte den Eindruck, er könnte ohne Probleme eine Stunde lang ganz bequem so hängen. Während er sich mit diesem Gefühl unveränderlicher Stabilität vollsog, hatte der Coch seine Inspektion beendet und schloß die Tür vor Retancourt. Sie zog sich rasch an und betrat wieder das Zimmer, wobei sie die drei Bullen weiter anschnauzte, sie in ihrer Badewanne so dreist überrascht zu haben.
    »Wir haben geklopft, bevor wir reingekommen sind«, sagte die unbekannte Stimme eines Cochs.
    »Ich habe nichts gehört!« schrie Retancourt. »Und bringen Sie gefälligst meine Sachen nicht in Unordnung. Ich sage Ihnen nochmals, der Kommissar hat mich angewiesen hierzubleiben. Er wollte heute morgen mit eurem Surintendant allein sein.«
    »Wie spät war es auf Ihrer Uhr, als er Ihnen das sagte?«
    »Als wir vor dem Hotel geparkt haben, so gegen sieben. Er müßte jetzt schon bei Laliberté sein.«
    »Criss! Er ist nicht in der GRC! Ihr Boß ist verduftet!«
    Hinter der Tür, wo er sich wieder platt an die Wand drückte, begriff Adamsberg, daß Retancourt jetzt überrascht und schockiert schwieg.
    »Er war um neun Uhr dort verabredet«, versicherte sie, »soviel jedenfalls weiß ich.«
    »Sakrament! Er hat uns einen Bären aufgehievt und sich davongemacht.«
    »Nein, er hätte mich nie hier zurückgelassen. Wir arbeiten immer im Duett.«
    »Knipsen Sie mal Ihre Lichter an, Lieutenant. Ihr Esti von Boß ist ein Teufelsfott und hat Sie angetrottelt.«
    »Ich begreife nicht«, beharrte Retancourt trotzig.
    Ein anderer Bulle – die Stimme von Philippe-Auguste, wie es Adamsberg schien – unterbrach ihn.
    »Nein, nichts, nirgendwo«, sagte er.
    »Nichts«, bestätigte ein Dritter – die barsche Stimme von Portelance.
    »Mach dir keine Sorgen«, antwortete der erste. »Wenn wir ihn erst geschnappt haben, wird er den Schwanz schon einziehen. Raus, Jungs, wir durchsuchen das Hotel.«
    Er schloß die Tür, nachdem er sich noch einmal für ihren ungeschickten Überfall entschuldigt hatte.
     
    Um elf Uhr ging Adamsberg in grauem Anzug, weißem Hemd und Schlips gemächlich zum Wagen seines Bruders.
    Überall liefen Cochs herum, die er keines Blickes würdigte. Um elf Uhr vierzig fuhr sein Bus nach Montreal ab. Retancourt hatte ihm geraten, eine Station vor der Endhaltestelle auszusteigen. In seiner Jackentasche hatte er nur Basiles Adresse und eine Nachricht von Retancourt.
    Während er den am Straßenrand vorbeifliegenden Bäumen nachschaute, dachte er, daß er noch nie einen Unterschlupf gefunden hatte, der so sicher und beruhigend wie Retancourts weißer Körper war. Der sogar mehr Geborgenheit bot als die

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