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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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sich um. Die Zigarre in seinem Mund war verschwunden. In der Rechten hielt er eine Sig Sauer P226. Er lachte kurz auf, dann befahl er: „Lass die Waffe fallen!“
    Samimis Hand zitterte, aber er senkte den Revolver nicht.
    „Wenn du mich erschießt, dann wird unsere Regierung meinen Tod rächen und deine ganze Familie exekutieren lassen. Das ist dir doch klar, oder?“, drohte Taghinia. „Willst du wirklich das Leben von allen, die dir etwas bedeuten, für dieses Ding da aufs Spiel setzen?“ Er deutete mit dem Kinn zu der Statue. „Ich habe schon nach oben weitergegeben, dass ich Zweifel an deiner Loyalität habe.“
    „Ich glaube dir kein Wort.“ Samimi wusste, dass Taghinia ihn anlog. Etliche Dutzend Mal hatte er schon miterlebt, wie sein Boss genau solche glatten Lügen von sich gab.
    Taghinias Finger am Abzug krümmte sich. „Du brauchst mir nicht zu glauben. Aber lass es dir noch mal durch den Kopf ge hen.“
    Samimi überlegte, doch es gab keinen Grund, warum Taghinia hätte Verdacht schöpfen sollen. Er hatte nirgends einen Hinweis hinterlassen, er hatte niemanden in seine Pläne eingeweiht. Sein Boss ahnte nichts. Oder doch?
    Er zögerte den Bruchteil einer Sekunde, doch das genügte Taghinia.
    Der Knall dröhnte durch die leere Halle. Oben unterm Dach saß eine Taube auf ihrem Nest. Sie flog auf und flatterte wild mit den Flügeln. Langsam schwebten zwei ihrer Federn hinunter auf den staubigen Boden.

70. KAPITEL
    Lucian hatte das Chaos genutzt, das ausgebrochen war, nachdem Nicolas Olshling die Notausgänge geöffnet und den Alarm ausgelöst hatte. Er hatte die Holzpaneele an der Rückseite des Hypnos abgenommen und war ins Innere der Statue geklettert. Er war nicht hundertprozentig sicher, ob ihn wirklich keiner der Terroristen dabei gesehen hatte. Es war ein Risiko. Aber solche Risiken gehörten zu seinem Job.
    Als die Skulptur hochgehoben wurde, stützte sich Lucian an den Innenwänden ab, um nicht umzufallen. Zwielicht drang durch die Ritzen im Holz herein und erleuchtete das sargähnliche Innere. Lucian war schon einmal im Innern der Kopie des Hypnos gewesen, als er vor der Fahrt nach Los Angeles das GPS-Ortungsgerät eingesetzt hatte. Doch dies hier war das Original. Die Statue war zweitausend Jahre älter und weitaus wertvoller.
    Lucian versuchte, sich aufrecht zu halten, als die Statue in der Schlinge hin- und herschwang. Doch der Wind war zu stark, und eine besonders heftige Böe brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Wenigstens ging das Poltern, als er umfiel, im Lärm des Hubschraubers unter. Solange sie in der Luft waren, blieb er wohl lieber liegen.
    Er starrte hoch in den Kopf des griechischen Gottes. Da bemerkte er, wie sich die hölzernen Stützen überkreuzten und im Zentrum ein Rechteck formten. Zuerst hielt er es für ein Detail der Bauweise des Skeletts der Figur, doch je länger er nach oben schaute, desto seltsamer kam ihm die Position des Rechtecks vor. Irgendetwas war da … Irgendetwas befand sich tief in diesem versteckten Winkel, in dem, wäre Hypnos ein Mensch, sein Gehirn sitzen würde.
    Die seltsame Konstruktion kam Lucian bekannt vor. Iris Bellmer und er hatten darüber gesprochen … Doch was war es? Dann fiel es ihm ein.
    Ein heiliges Objekt, das der große Pythagoras im Innern der Statue verbergen wollte.
    Langsam und vorsichtig erhob sich Lucian und griff hoch hinter die Augen von Hypnos. Das Rechteck ließ sich nicht lösen, der Raum dahinter war verschlossen. Lucian tastete sich an den Kanten entlang und fand einen winzigen Riegel. Doch die Statue war über Jahrhunderte der Feuchtigkeit ausgesetzt gewesen, und das Holz war verrottet und verzogen. Erst nachdem er sich die Finger wund gekratzt hatte, konnte Lucian den Riegel aufbrechen und den Deckel abnehmen. Dahinter ertastete er etwas Verwittertes, etwas Ledriges.
    Der Beutel war aus rissiger, ausgefranster Tierhaut gefertigt. Darin konnte Lucian eine kleine Kugel spüren. Er steckte zwei Finger in den Beutel und holte eine Perle heraus, die etwas größer als eine Murmel war.
    In dem fahlen Abendlicht, das durch die Ritzen der uralten Holzskulptur schien, untersuchte Lucian die glatte, fein geschnitzte Kugel. Sie war aus Lapislazuli, Onyx und Chalzedon gefertigt. Sie sah aus, als könnte sie ein Auge des Hypnos gewesen sein.
    Ein Ruck durchfuhr die Statue. Lucian konnte sich kaum auf den Füßen halten. Er drohte, umzufallen, und streckte die Hand aus, um nicht gegen die Wand zu knallen. Die Kugel glitt ihm dabei

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