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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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und Reichtum gewesen. Damals hatte Trevor Talmage den Phoenix Club gegründet, zusammen mit Henry David Thoreau, Walt Whitman, Amos Bronson Alcott und anderen bekannten Transzendentalisten. Von ihrem ursprünglichen Ziel allerdings, der Suche nach geistiger und spiritueller Erleuchtung, war im Jahr 1876 nur noch die Erforschung und Praxis der Reinkarnation übrig geblieben. Verantwortlich dafür war Trevors Bruder Davenport Talmage, der davon besessen war, seinen Reichtum in zukünftige Leben hinüberzuretten.
    Ein Energiestoß durchfuhr Malachai. Bald würde er wieder vollständig genesen sein. Mit einem schwungvollen Schritt nahm er die beiden letzten Stufen. Er öffnete die Tür mit dem Wappen des sich aus der Asche erhebenden Phönix und trat ein.
    Ja, es war gut, wieder hier zu sein und ohne fremde Hilfe auf seinen eigenen Füßen zu stehen. Wichtig war jetzt, dass er sich auf das Positive konzentrierte und sich nicht von den negativen Fakten überwältigen ließ. Ja, er hatte zum zweiten Mal versagt und ein Erinnerungswerkzeug nicht in seinen Besitz gebracht, doch daran ließ sich nichts mehr ändern. Beim nächsten Mal würde es ihm gelingen, da war er sich sicher. Und das nächste Mal würde schon bald sein, wenn alles nach Plan lief. Und wenn das Buch, das er brauchte, um die Suche zu beginnen, schon angekommen war und hier auf ihn wartete.
    Das Foyer mit der Wandtäfelung aus dunklem Holz und dem glänzenden schwarz-weißen Marmorboden wurde vom weichen Licht des unbezahlbaren Kronleuchters aus Tiffanyglas erhellt. Hier trafen sich Gegenwart und Vergangenheit in einer Oase außerhalb der Zeit. Der Ort war einer zeitlosen Lehre gewidmet, an die Menschen geglaubt hatten. Malachai verbrachte sein Leben damit, einen Beweis für ihre Gültigkeit zu erbringen.
    „Hallo, Dr. Samuels.“
    Malachai hatte nicht damit gerechnet, dass am Empfang noch jemand saß. „Guten Abend, Frances. Es ist schon spät. Sie sollten schon längst zu Hause sein.“
    Er hatte seine Rückkehr so geplant, dass er nach Feierabend eintraf und keine Mitarbeiter mehr im Haus waren. Auch seine Tante hatte sich um diese Zeit meistens in ihre Wohnung im Obergeschoss zurückgezogen.
    „Sie haben einen Termin.“
    „Ich müsste mich sehr täuschen, wenn ich einen ausgemacht hätte.“
    Frances nickte zum Wartebereich hin, wo ein nervös wirkender Mann an einem der kindgerechten Tische saß. Neben ihm spielte ein vielleicht siebenjähriges Mädchen mit einem Holzpuzzle.
    „Ich soll Ihnen von Dr. Talmage ausrichten, ob Sie wohl so nett wären, ihre neue Patientin zu übernehmen, falls …“, Frances senkte die Stimme, „… sie nicht rechtzeitig von ihrem Arzttermin zurück ist.“
    „Ist etwas nicht in Ordnung?“ Seine Tante, die Vorsitzende der Phoenix Foundation, litt an MS, aber in den letzten sechs Monaten war es ihr gut gegangen.
    „Nichts Ernstes. Nur Rückenschmerzen, um die sie sich kümmern wollte. Und während der normalen Sprechzeiten konnte sie heute nicht weg. Es ist ein Glück, dass sie einen Arzt hat, zu dem sie auch nach Feierabend gehen kann.“
    „Ja, da hat sie Glück. Geben Sie mir noch fünf Minuten, bitte“, erwiderte er und ging weiter in Richtung seines Büros.
    „Dr. Samuels …“
    Malachai drehte sich um.
    „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass …“ Sie druckste herum und wusste wohl nicht recht, wie sie es sagen sollte. „Wir sind alle froh, dass Sie zurück sind“, platzte sie heraus.
    „Das freut mich sehr, Frances.“
    „Wir haben uns solche Sorgen gemacht.“
    „Danke.“
    Der kurze Weg den Gang hinunter ermüdete ihn. Sein Büro war in der ehemaligen Bücherei des alten Pfarrhauses untergebracht. Er hatte kaum die Tür geöffnet, da empfing ihn das vertraute Ticken der Uhr aus Goldbronze, die auf dem Sims des offenen Kamins stand. Er war zurück. Endlich. Vorsichtig lehnte er sich in seinen Ledersessel zurück und zuckte kurz zusammen. Doch er hatte keine Zeit für Schmerzen. Auf seinem Schreibtisch standen zwei große, mit feinem Ziegenleder bezogene Schachteln mit der Post, die sich während seiner Abwesenheit angesammelt hatte. Hier war der Grund, warum er den Rat der Ärzte in den Wind geschlagen hatte und zwei Tage vor Ende seiner Krankschreibung zurück zur Arbeit kam: Er wollte nachsehen, ob das Päckchen aus Paris, von dem Buchladen aus der Rive Gauche, inzwischen eingetroffen war. Während seiner Genesung hatte er oft daran gedacht, aber er hatte niemanden danach fragen können. Schon

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