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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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können nie richtig begreifen, was danach passiert. Verstehst du?“
    Veronica nickte.
    „Bei deiner Geschichte haben wir die erste Seite noch nicht gefunden. Das dauert manchmal eine Weile. Möchtest du es noch einmal versuchen, an einem anderen Tag?“
    Wieder nickte sie und schluchzte noch ein bisschen.
    Die Sitzung war zu Ende. Malachai brachte sie zur Tür.
    Als sie hinausgingen, legte Robert Keyes liebevoll den Arm um die Schultern seiner Tochter. Er war da für sie und tröstete sie, wie es nur ein Vater konnte. Malachai schaute ihnen noch lange nach.

7. KAPITEL
    Fünfunddreißig Dollar hatte ihn das Buch mit Baudelaires Gedichten gekostet. Die Kanten waren angestoßen, das Titelblatt befleckt und eingerissen. Das Buch war auf dem schwarz laminierten Arbeitstisch in der Bibliothek der Stiftung platziert. Darum herum lagen Konservierungswerkzeuge, Papierblöcke, Gefäße mit Stiften und ein Dutzend anderer Bücher, die Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben worden waren. Sie alle handelten von verschiedenen Methoden, mit denen man Erinnerungen an frühere Leben freilegen konnte. Malachai hatte sich mit den Büchern beschäftigt, als er das letzte Mal hier gearbeitet hatte, vor seinem Trip nach Wien. Doch heute hatte er nur Augen für den Baudelaire.
    Hinten im Buch ritzte er mit einer Rasierklinge das rotgold marmorierte Papier des Innenumschlags auf. Er löste es ab und fand dahinter ein einfaches weißes Blatt Papier, das mehrfach gefaltet war. Das Papier hatte eine Frau das Leben und ihn einhunderttausend Dollar gekostet. Malachai konnte noch nicht sagen, ob sich die Investition gelohnt hatte. Doch er hielt endlich die einzig bekannte – wenn auch unvollständige – Liste von Erinnerungswerkzeugen in seinen Händen. Und die eigentliche Aufgabe lag erst noch vor ihm: Er musste die Objekte finden.
    Er begann zu lesen:
Topf mit wohlriechendem Wachs
Reflexionskugeln
Hologrammball
Knochenflöte
Wort-Halter
    Ein Schlüssel klimperte, und Malachai schaute hoch von der Liste, die er noch nicht ganz gelesen hatte. Die Tür zur Bibliothekging auf, und er erkannte das untere Ende von Beryls Stock aus Elfenbein. Eigentlich kam sie nie hier herunter. Wegen der MS hatte sie Schwierigkeiten mit der Treppe.
    Nie hatte sie ihn im letzten Jahr spüren lassen, dass sie auch nur einen Moment an seiner Unschuld zweifelte. Allerdings gab sie ihm die Schuld daran, dass die Phoenix Foundation in einen Skandal verwickelt worden war. Achtzehn Monate lang hatte die Polizei in einem Diebstahls- und Mordfall gegen einen der beiden Vorsitzenden der Stiftung ermittelt. Der Ruf der Phoenix Foundation hatte darunter gelitten, und Beryl kämpfte seit Jahren hart um den guten Ruf der Stiftung. Ihr ging es um die wissenschaftliche Anerkennung ihrer Ziele, dabei konnte sie es sich nicht leisten, dass die Phoenix Foundation zum Gespött der Medien wurde. Patienten mit Erinnerungen an frühere Leben zu therapieren sei eine Sache, sagte sie, die Suche nach alten Schätzen, die angeblich mystische Eigenschaften besäßen, allerdings etwas ganz anderes.
    Beryl war nicht gerade erbaut von der Obsession ihres Neffen. Sie war verärgert gewesen, als er, wieder einmal auf der Fährte eines der Erinnerungswerkzeuge, nach Wien abgereist war. Besser, sie fand erst gar nicht heraus, dass er die Suche gleich wieder aufnehmen wollte.
    Malachai holte einen Satz altertümlicher Spielkarten aus seiner Jackentasche und mischte sie. Der Goldschnitt an den Kartenrändern glitzerte. Seine Sammlung bestand aus über drei Dutzend solcher Kartenspiele, und eines davon trug er immer bei sich. Sie waren hervorragend dafür geeignet, Leute abzulenken.
    „Beryl, wie geht es dir? Frances hat gesagt, du warst beim Arzt und …“
    Seine Tante war nicht allein. Ein Mann betrat mehrere Schritte nach ihr die Bibliothek. Sein rötliches Haar war kurz geschnitten, und seine Nase sah aus, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen. Die grauen Hosen und der dunkelblaueBlazer mit den Goldknöpfen kamen von der Stange und waren von minderwertiger Qualität.
    „Dieser Herr hat draußen gewartet, als ich heimkam“, sagte Beryl mit einem genervten Unterton in der Stimme.
    „FBI. Ich bin Agent Matt Richmond.“ Der Mann zückte seinen Ausweis.
    „Guten Abend, Agent Richmond.“ Malachai setzte ein freundliches Lächeln auf, ganz so, als begrüße er einen Gast in seinem Heim. „Es ist ein bisschen spät für einen Besuch, nicht?“ Die leichte Spur von Ironie in der Frage war

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