Der Visionist
kos ten.“
„Was weißt du eigentlich über Manhattan?“
„Nicht viel, außer dass es Abzocker sind.“ Philips schüttelte den Kopf. „Was hältst du davon, wenn ich ein paar Männer von dem Hotelauftrag abziehe und sie ein paar Wochen lang hier aushelfen? Aus der Crew ist noch keiner abgesprungen.“
„Wie bitte? Von der Hotelcrew hat kein Einziger gekündigt?“
„Nein. Alle Abwerbungen betreffen diese Baustelle. Esist eben bekannt, dass die Leute hier am besten ausgebildet sind.“
„Wenn das wirklich so wäre, wäre ich froh.“
„Ich auch. Aber kannst du dir irgendeinen anderen Grund vorstellen?“
„Im Moment nicht. Aber ich komm schon noch drauf.“
20. KAPITEL
Die Jalousien waren hochgezogen, aber Dr. Iris Bellmer drehte den Dimmer herunter, sodass der Raum im Dunkeln lag. „Bitte lehnen Sie sich auf der Couch zurück, James. Setzen Sie sich so, wie es für Sie bequem ist. Legen Sie die Arme neben sich, stellen Sie beide Füße auf den Boden. Entspannen Sie sich.“
Wie sollte er sich um vier Uhr nachmittags entspannen, mit gleich zwei anstrengenden Fällen, den Ermittlungen gegen Malachai Samuels und dem Vandalismus- und Erpressungsfall im Met? Beide waren brisant, besonders für ihn, weil er in beide persönlich involviert war. Die Situation war schwierig für ihn. Aber auch wenn ACT genug Leute hätte, nie im Leben würde Lucian – alias James – einen der beiden Fälle abgeben. Das ließ sein Pflichtgefühl nicht zu; außerdem war er schon zu sehr in die Ermittlungen verstrickt, um sie jetzt anderen anzuvertrauen.
„Die Vorgehensweise, die wir anwenden, beginnt genau wie die Meditationstechnik, die Sie bei Ihrem Schmerztherapeuten gelernt haben. Sobald Sie die Tiefenentspannung erreicht haben, mache ich ein paar Vorschläge, die Ihr Unterbewusstsein aufgreifen wird. Und dann machen wir hoffentlich ein paar neue Entdeckungen. Haben Sie dazu irgendwelche Fragen?“
„Fangen wir an.“ Lucian hatte sehr viel Meditationserfahrung und war sich sicher, ihre Suggestionen abwehren und wach bleiben zu können. Am Morgen hatte er wieder einen beunruhigenden Traum gehabt, der ihn aus dem Bett und an die Staffelei gezwungen hatte. Er hatte wieder einmal das junge Mädchen gemalt, in dessen Augen so viel Angst stand. Doch er war hier als Ermittler, nicht als Patient. Natürlich wollte er gerne verstehen, was der Grund für diese wahnhaften Träume war. Aber mit irgendwelchen früheren Leben hatte das nichtszu tun. Die Geschichten, die Dr. Bellmers Patienten ihr unter Hypnose erzählten, waren genau das – nur Geschichten. Menschen konnten ganze Fantasiewelten erschaffen – schlafend im Traum oder in Tagträumen, wenn sie wach waren. Es war kein Wunder, dass Menschen unter Hypnose Geschichten entwickelten, wenn ein ausgebildeter Therapeut sie mit Suggestivfragen dazu ermunterte.
„Also, James, ich möchte, dass Sie viermal sehr tief Luft holen … langsam … eins … zwei … drei … vier … stellen Sie sich jetzt eine Treppe vor … gehen Sie die Stufen hinunter und zählen Sie dabei rückwärts ab zwanzig … neunzehn, achtzehn … eine Stufe nach der anderen … ein Schritt nach dem anderen … zählen Sie, bis Sie unten sind …“ Dr. Bellmer schwieg einen Moment, wartete, dann redete sie mit ihrer ausdrucksvollen Stimme weiter. „Wenn Sie auf der untersten Stufe sind, werden Sie sehen, dass Sie an einem Ort sind, den Sie kennen … Sie sind in der unterirdischen Höhle, von der Sie mir erzählt haben … Es ist angenehm hier … Sie fühlen sich behaglich und leicht …“
Lucians Kopfschmerzen ließen nach. Das überraschte ihn nicht. Es war bekannt, dass man mit Hypnose Schmerzen heilen konnten. Deshalb hatte er die Meditationstechniken zur Selbsthypnose gelernt, wie er Dr. Bellmer erzählt hatte.
„Sie sind jetzt in der Höhle. Sie ist nur schwach beleuchtet.“
Er hatte in der Nacht wenig geschlafen. Er war so müde. Ihre Stimme klang so wohltuend.
„Vor Ihnen liegt ein See. Das Wasser ist türkisfarben. Es ist warm, perfekt für ein Bad …“
Lucian konzentrierte sich auf die Geräusche von der Straße und versuchte, ihre Stimme auszublenden. Er durfte diese imaginierte Oase nicht betreten, auch wenn es sehr verlockend war. Dort würde er endlich die melancholische Stimmung hinter sich lassen können, die ihn seit dem Besuch von Jacobs’ Wohnung gestern ergriffen hatte. Aber er war hier nicht alsPatient, sondern als Agent des FBI, der gegen einen möglichen
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