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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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Ader, die den Stein für ihn ruiniert hatte. Ich bildete den Kopf von Iantha darin nach. Den Fehler fügte ich einfach in ihre Haare ein. Eines Tages überraschte mich Vangelis beim Meißeln, und ich dachte schon, er nimmt es mir übel. Immerhin klopfte ich ein Abbild seiner Tochter aus dem Stein. Aber er zeigte mir nur, wo meine Fehler lagen … Sie hat wunderschöne Augen, aber ich hatte sie zu weit nach innen gesetzt, sodass sie sorgenvoll blickte. Daran konnte auch Vangelis nichts mehr ändern, aber er holte ihre Wangenknochen deutlicher aus dem Stein. Und er korrigierte ihren Mund.“
    „Was war falsch an ihrem Mund?“
    „Iantha hat volle Lippen, auf denen immer ein kleines Lächeln liegt. Das Lächeln fehlte bei mir.“
    Iris schaute auf den Boden, wo immer noch die Zeichnungen lagen, die James mitgebracht hatte. Eine davon stellte eine junge Frau dar, mit vollen Lippen und hohen Wangenknochen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, wie in Todesangst.
    „Hast du Iantha ihre Büste geschenkt?“
    „Zenobia sah, wie Vangelis mir half. Er wurde immer eifersüchtig, wenn der Meister sich einem von uns Lehrlingen länger widmete als ihm. Aber ich hätte nie geahnt, wie weit seine Eifersucht gehen würde. Als ich am nächsten Morgen in die Werkstatt kam, lagen da Dutzende von Marmorstücken an meinem Platz. Ich verstand erst gar nicht, was ich da sah. Doch dann erkannte ich einen Teil ihrer Nase und dann einStück von ihrem Mund. Er hatte die Büste zerschlagen. Und dann lachte er hinter mir voller Schadenfreude.“
    „Was hast du dann getan?“
    „Ich wollte ihn schlagen, aber er ist viel größer als ich. Er drängte mich gegen einen hohen Marmorblock. Da hielt er mich fest und prügelte auf mich ein, bis meine Augen zugeschwollen waren und meine Nase blutete und ich mich fast übergeben musste. Ich war ihm ausgeliefert, aber er kannte kein Erbarmen. Und dann sah ich einen Hammer, den jemand hatte liegen lassen. Ich tat so, als würde ich ohnmächtig, und ließ mich zu Boden fallen. Er glaubte, dass er mich bewusstlos geschlagen hätte, und hörte kurz auf mit dem Prügeln. Ich packte den Hammer, holte aus und schlug auf ihn ein. Die flache Seite traf Zenobias Schulter, etwas knackte laut, und dann fing er an zu schreien. Ich floh, aber trotz der großen Schmerzen kam er mir nach. Gebrüllt hat er, dass es mir noch leidtun würde. Ich versteckte mich auf der anderen Seite eines Marmorblocks, der so groß war, dass wir ihn nur zusammen in die Werkstatt wuchten konnten. Dort wartete ich, ob er mir wirklich nachkommen würde. Er fand mich, und ich sprang heraus und kämpfte ihn zu Boden. Er war geschwächt von den Schmerzen im Arm, und ich kam auf ihm zu sitzen. Und dann war er mir ausgeliefert – und ich hatte den Hammer in der Faust. Ich saß auf seinem Bauch, und Blut spritzte ihm aus der Nase, und seine Augen tränten, und er musste furchtbare Schmerzen haben, aber er hatte keine Angst vor mir. Das war das Schlimmste. Er hatte immer noch keine Angst vor mir.“
    Er räusperte sich. „‚Du Schwachkopf‘, hat er gezischt. ‚Ich bin der Oberlehrling und der Lieblingsschüler des Meisters. Kannst du dir vorstellen, was er mit dir macht, wenn du mich noch mal schlägst? Ich muss Vangelis doch nur erzählen, dass du mit Iantha spazieren gehst und was ihr beide sonst miteinander treibt. Das wird ihm gar nicht gefallen, und er wirft dich auf die Straße.‘ Zenobia ist älter und stärker als ich, aber er lag unter mir,und ich hatte einen Hammer. Aber er wusste genau, wie groß meine Angst war. Dann lachte er mich wieder aus, und er bäumte sich auf und wollte mich abschütteln, wie ein großes Tier. Iantha kam dazu, und sie versuchte, ihn zurückzuhalten …“
    Iris litt mit dem schwitzenden, keuchenden Jungen – ja, Jungen, denn James Ryan war im Moment ein Junge namens Telamon.
    „Er brüllte: ‚Du Ameise, du winzige Mücke!‘ Sein Speichel flog in mein Gesicht. Dann schlug er mich in den Magen. Ich hatte Angst um Iantha, dass er auch ihr etwas antun würde. Er schlug immer weiter, und auch als meine Nase und mein Mund bluteten und mein Kopf dröhnte, hörte er nicht auf. Er prügelte auf mein Gesicht ein, und dann wurde alles schwarz. Es tat entsetzlich weh. Ich konnte die Augen nicht mehr öffnen. Ich konnte nichts mehr sehen. War ich blind? Wie kann ich Bildhauer werden, wenn ich blind bin?“
    Iris’ Patient hörte auf zu sprechen. Im Zimmer war es mit einem Mal still. Draußen auf der Straße hupte

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