Der Visionist
Fotografien herumlagen. An der Wand dahinter hing ein Plakat, das sie erst vor Kurzem ausgetauscht haben musste; bei seinem letzten Besuch hing dort noch ein anderes. Auf dem neuen war eine Kachel abgebildet, die in Grün, Kobaltblau und Türkis glasiert war. Sie war so stark vergrößert, dass die Seiten über den Rand des Plakats reichten. In schwarz umrahmten silbernen Buchstaben stand darauf: Frühe persische Kachelkeramik – die Blütezeit der Stadt Kashi . Darunter waren die Termine abgedruckt; die Ausstellung war im Januar eröffnet worden und ging noch bis Ende Juni.
„Hier ist Ihr Tee.“ Deborah kam mit zwei dunkelblauen Bechern mit dem aufgedruckten MOMA-Logo zurück in ihr Büro.
Er nippte an dem dampfenden Getränk. „Viele Leute servierenTee nicht richtig heiß, aber der hier ist perfekt. Vielen Dank.“
Deborah deutete auf die einfarbige Tüte. „Sie haben mich mit Ihrem Anruf wirklich neugierig gemacht, Mr Samimi. Ich kann es kaum mehr erwarten. Und dabei haben Sie uns ja das letzte Mal schon so ein ausgesuchtes Stück mitgebracht.“
„Sagen Sie Ali zu mir.“ Er griff in die Tüte, holte das Lederkästchen heraus und stellte es auf den Schreibtisch. Mit großer Geste öffnete er es, sodass Deborah den blauen Seidenbeutel sehen konnte, der mit weißen Blüten und grünen Blättern bestickt war. Er nahm ihn heraus und reichte ihn ihr.
Sie nickte fast schüchtern, etwas, das Samimi schon bei ihrem letzten Treffen an ihr fasziniert hatte. Deborah war eine angesehene Kunsthistorikerin, sie arbeitete an einem der besten Museen der Welt, und trotzdem war sie so zurückhaltend. Falls er je heiraten sollte, würde er sich eine Frau suchen, die mehr wie Deborah war und nicht so wie die Frauen, mit denen er Sex hatte. Eine Frau, die mit beiden Beinen im amerikanischen Leben stand, aber trotzdem noch manchmal von der alten Wüste träumte. „Der Besitzer möchte es gerne dem Museum vermachen, falls Sie meinen, dass ein Platz dafür in Ihrer Sammlung ist.“
Deborah öffnete den Beutel, griff hinein und holte den eierförmigen goldenen Kelch heraus. Er war mit den Köpfen zweier Männer geschmückt, die Laubkronen auf ihren Häuptern trugen. Sie drehte das kostbare Trinkgefäß langsam in ihrer Hand und begutachtete es von allen Seiten.
„Was halten Sie davon?“ Sie wirkte beeindruckt, aber er war sich nicht ganz sicher.
„Er ist wundervoll“, flüsterte sie.
„Ein ganz ähnlicher Becher, der ebenfalls aus einer einzigen Goldplatte geschlagen wurde, hat im letzten Jahr in London über eine Million Dollar erzielt.“
„Ich weiß.“ Doch ihre Stimme klang nicht so, als ob sichfür sie der Wert des Objekts an seinem Preis messen ließe.
Mit einem Okular betrachtete sie den Becher genauer. „Die Goldschmiedetechnik weist darauf hin, dass es aus achämenidischem Gold besteht. Drittes oder viertes Jahrhundert vor Christus.
Ihre Analyse stimmte mit dem überein, was Samimi von dem Kurator des Museums in Teheran erfahren hatte.
„Es ist außerordentlich kunstfertig gearbeitet“, sagte sie schließlich, wobei sie unverwandt das Gefäß anstarrte, als könne sie sich nicht von ihm losreißen. „Möchte Ihr Kunde …“
„Er ist kein Kunde. Die Ständige Vertretung möchte nur einem unserer Bürger einen Gefallen tun.“
„Und er bietet uns diesen Becher an?“
„Er stammt aus dem Iran, hat aber inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangt. Er möchte seinen Beitrag dazu leisten, dass die Verbindungen zwischen seinem Geburtsland und dem seiner Kinder besser werden.“
Sie nickte. Wie er gehofft hatte, konnte sie einen solchen Wunsch gut verstehen. Farid Taghinia hatte sich den großen Plan ausgedacht, aber diese Erklärung war Samimis Beitrag, und er war stolz darauf, dass es funktioniert hatte.
„Wie heißt er?“
„Er möchte vorerst noch anonym bleiben. Steht das einer Schenkung im Weg?“
„Nicht, wenn Sie Dokumente vorlegen können, die beweisen, dass er der rechtmäßige Besitzer des Bechers und die Herkunft des Objekts unstrittig ist.“
„Ich versichere Ihnen, dass alles seine Ordnung hat. Uns ist bewusst, wie vorsichtig Sie inzwischen sein müssen. Es brodelt ja schon ein Konflikt zwischen dem Museum und unserer Regierung, den wollen wir auf keinen Fall verschärfen. Unangenehme Sache.“ Er senkte die Stimme und beugte sich nach vorn. „Unter uns gesagt ist es mir peinlich, wie aggressiv wir uns Ihnen gegenüber verhalten. Und ich bin nicht der Einzige,dem
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