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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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verschwundenen oder gestohlenen Kunstwerks – der Schlüssel des Falles, den er lösen wollte. Darum herum pinnte er nebeneinander oder auch halb übereinander andere Fotos, Skizzen und Notizen über Schauplätze und Fundorte, ehemalige Besitzer, mögliche Verdächtige und alles sonst, was irgendwie Bedeutung für den Fall hatte.
    Seit mehr als einem Jahr, seit dem Diebstahl der „Memory Stones“ in Rom, war nun schon dasselbe Puzzle an der Wand. Fotos von Malachai Samuels, von der Phoenix Foundation, von den Steinen selbst und von ihren Fundorten hingen dort, zwischen Hunderten von Beschreibungen, Diagrammen und anderen Bildern. Vor Kurzem hatte Lucian alles eingefügt, was mit dem Einbruch bei der Gesellschaft der Memoristen in Wien zusammenhing. Für andere mochte die Wand wie ein chaotisches Zettel-Sammelsurium aussehen, doch Lucian hatte alles nach einem ausgetüftelten System platziert.
    In den letzten sechsunddreißig Stunden hatte er ein Dossier über die Skulptur angefertigt, die im Zentrum seines neuesten Falles stand. Mehrere Fotos des Hypnos und der fünf Gemälde, um die es in dem Erpressungsfall im Metropolitan Museum of Art ging, bedeckten ein Stück Wand, das bis jetzt noch frei gewesen war. Notizen und Bilder aus allen drei Fällen hingen nun zufällig nebeneinander. Lucian schaute sie sich an und fragte sich, ob Malachais Name auch noch in dem Fall um den Hypnos auftauchen würde.
    „Wie lange sind Sie schon hier?“ Douglas Comley stand mit einem Pappbecher Kaffee und seiner Aktentasche an der Tür.
    „Seit ein paar Stunden.“
    „Können Sie immer noch nicht richtig schlafen? Alles in Ordnung?“
    „Mir geht’s gut. Hören Sie, beim Rechtsstreit um die Statue gibt es eine seltsame Entwicklung.“ Es war Lucian aufgefallen, als er routinemäßig die Anwaltskanzlei überprüft hatte, die als Nachfolger Rezas eingestellt worden waren. „Sie gehört dem Vater von Tyler Weil.“
    „Der Vater des Direktors des Metropolitan Museums of Art vertritt die Iraner in dem Rechtsstreit? Das klingt mir nach einem ziemlich heftigen Interessenkonflikt. Was haben Sie über den Unfall herausgefunden?“
    „Er ist am frühen Morgen passiert, es hat geregnet, der Park war leer. Es gab keine Zeugen. NYPD ermittelt, aber sie haben keine ernst zu nehmenden Hinweise.“
    „Ich möchte, dass Sie sich hinter den Unfall klemmen.“
    „Kein Problem.“ Lucian massierte mit den Fingerspitzen seine Schläfen. Er war mit Kopfschmerzen aufgewacht, doch beim Zeichnen waren sie verschwunden. Erst jetzt kamen sie wieder zurück.
    „Ist wirklich alles in Ordnung mit Ihnen?“
    „Ja, mir geht’s gut.“
    „Sind Sie sicher, dass Sie sich mit diesen beiden Fällen nichtübernehmen? Warum lassen Sie nicht Richmond …“
    „Wollen Sie mir einen der Fälle entziehen?“, fragte Lucian, der gleich das Schlimmste befürchtete.
    Comley verdrehte die Augen. „Entziehen? Nein. Ich möchte Ihnen nur eine Arbeitserleichterung vorschlagen. Wenn ich Sie offiziell von den ‚Memory Stones‘ abziehe und Sie dann trotzdem weiter daran arbeiten, muss ich Sie rausschmeißen. Und so wie unser Budget aussieht, kann ich niemanden einstellen, der Sie ersetzen könnte.“
    „Ich schaff das schon.“
    „Malachai Samuels ist eine harte Nuss, sogar für uns, Lucian. Das war schon letztes Jahr klar, als er …“
    Die Sekretärin meldete sich über die Gegensprechanlage und unterbrach Comley.
    „Agent Glass, hier ist eine Frau, die mit Ihnen sprechen möchte. Sie hat allerdings keinen Termin.“
    „Wer ist es?“
    „Sie heißt Emeline Jacobs.“
    Sie saß in einem der blauen Ledersessel und starrte auf das Plakat, das ihr gegenüber an der Wand hing. Es war eine Schwarz-Weiß-Fotografie der Skyline von New York City, die Stieglitz in den Dreißigerjahren aufgenommen hatte.
    „Miss Jacobs?“
    Sie drehte sich um, erkannte Lucian und stand auf. Ihre Haare schimmerten golden, und ihre Haut war so blass, wie er es in Erinnerung hatte. Sie war einfarbig gekleidet: cremefarbene Hosen, dazu eine cremefarbene Bluse mit rundem Ausschnitt. Über die Schultern hatte sie sich einen cremefarbenen Pullover gelegt. Keine Ringe, kein Armreif, nicht einmal eine Armbanduhr. Nur eine zierliche Goldkette hing um ihren Hals, mit einem winzigen Anhänger in der Form eines Pinsels mit roter Spitze.
    Lucian wollte sie nicht anstarren, aber er konnte den Blicknicht von ihr abwenden, als mit Gewalt eine Erinnerung in ihm hoch stieg.
    Es war an einem kalten Tag

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