Der Visionist
es so geht. Mein Freund, dem dieser Becher gehört, denkt ähnlich.“ Diese letzten Sätze hatte Samimi gar nicht sagen wollen, aber es war die perfekte Gelegenheit für solche Vertraulichkeiten. Deborah sollte den Eindruck bekommen, dass er eigentlich auf der Seite des Museums stand. „Der jetzige Eigentümer besteht nur darauf, dass der Becher auch ausgestellt wird. Er möchte nicht, dass er in irgendwelchen Lagern verschwindet. Und wenn Sie sich entscheiden, dass Sie das Geschenk annehmen, dann wird er eine Presseerklärung geben und öffentlich machen, wer er ist. Es ist ihm wichtig, dass seine Geste der Verständigung auch öffentlich Anerkennung findet.“
„Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich Ihnen noch nichts versprechen. Erst müssen wir den Becher untersuchen lassen, seine Echtheit verifizieren und die Herkunft klären. Aber ich verstehe gut, warum Ihr Freund solche Konditionen an die Schenkung knüpft. Wenn wir sein großzügiges Geschenk annehmen können, dann werden wir den Becher auf jeden Fall ausstellen.“
Samimi nickte. „Wie lange wird das alles dauern?“
„Es hängt von den Papieren ab, die wir von Ihnen bekommen. Mindestens vier oder fünf Wochen, würde ich sagen. Ist das für Sie akzeptabel?“
„Ja, natürlich.“ Länger als diese paar Wochen waren für den Plan nicht notwendig, zumindest nicht nach dem, was er auf den Bändern gehört und was Taghinia ihm gesagt hatte.
„Ich muss nur noch eine Quittung ausstellen.“ Deborah schob ein paar Papiere zur Seite und stellte den Becher mitten auf ihren Schreibtisch. „Ich mache nur ein paar Aufnahmen, für die Dokumentation des aktuellen Zustands des Objekts.“ Während sie den Becher fotografierte, sagte sie nichts. Konzentriert nahm sie den Becher aus verschiedenen Blickwinkeln auf, auch vom Inneren und von der Unterseite machte sie Aufnahmen. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht zu warten, danndrucke ich die schnell aus und Sie können sie gegenzeichnen. Dann bekommt jeder von uns einen Abzug, der der Quittung beigelegt wird.“
„Ich warte gerne.“ Er schaute ihr direkt ins Gesicht und wandte den Blick auch nicht ab, als sie es bemerkte. Hoffentlich trat er nicht zu forsch auf. Doch sein Instinkt trog ihn selten, wenn es um Frauen ging, und er hatte das Gefühl, dass Deborah Mitchell wenig männliche Aufmerksamkeit bekam und seine Avancen ihr schmeichelten.
Sein Gefühl war richtig; sie schenkte ihm wieder ihr schüchternes Lächeln.
Während sie die Fotos ausdruckte, trank Samimi seinen Tee, auch wenn der inzwischen lauwarm war. Wieder schaute er sich das Plakat an. Die grün, kobaltblau und türkis schillernde Kachel war so typisch für die Kunst seines Landes, dass ihn für einen Moment das Heimweh packte. Nicht nach dem religiösen Fundamentalismus, wofür der Iran heutzutage stand, sondern nach dem Land seiner Urgroßeltern, von dem er nur Überreste kannte und über das er viele Geschichten gehört hatte, einem Iran, den es nicht mehr gab und der wahrscheinlich für immer verloren war.
„Hier, Mr Samimi, bitte.“ Deborah reichte ihm einen Stapel Fotoausdrucke, ein Übereignungsformular und einen Kugelschreiber.
„Sagen Sie bitte Ali“, erwiderte er. Während er seine Initialen auf jeden Ausdruck kritzelte, stieg ihm der leichte Geruch ihres Parfüms in die Nase. Es roch frisch und blumig, er mochte es. So, wie sich Deborah gab, war eine formelle Einladung genau das Richtige. „Wäre es sehr vermessen“, fragte er deshalb, „wenn ich Sie zur Feier der Tages zum Abendessen einlade?“
22. KAPITEL
Lucian war am Ende des Berichts über Vartan Rezas tödlichen Unfall mit Fahrerflucht angelangt. Er schaute vom Computer hoch und starrte aus dem Fenster. Die winzigen Büros des Art Crime Teams befanden sich im Hauptquartier des FBI in Manhattan, 26 Federal Plaza. Zwischen zwei Gebäuden auf der anderen Straßenseite konnte er auf einen kleinen Park sehen, mit halbkreisförmigen Holzbänken, den extravaganten Laternen und den glasumrandeten Hügeln, die Nebelfahnen ausströmten. Der Park brachte ein wenig Farbe in das strenge Ensemble aus Justizgebäuden, Regierungsbehörden, Banken und den zerstörten World Trade Center Towers.
Er stand auf und trat mit dem Kaffeebecher vor die Korkwand an der gegenüberliegenden Wand. Alle wichtigen Informationen zu seinem aktuellen Fall hatte er an die Wand gepinnt, um den Überblick zu behalten. Er ordnete alles immer auf die gleiche Art. Genau in der Mitte war ein Foto des
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