Der Vogelmann
Minute, ohne nachzuladen. Sie war zum Zersägen von kleinen Holzstücken gedacht, wurde mit einer wiederaufladbaren Batterie im Griff betrieben, wog weniger als sieben Pfund, maß vom Griff bis zur Sägeblattspitze nur dreißig Zentimeter und paßte perfekt ins Handschuhfach eines Peugeots. Zu Hause legte er ein Stück Räucherschinken ins Abwaschbecken und übte daran: Mit einem Druck auf den Bedienungsknopf schnitt er es säuberlich entzwei.
Mit seinem neuen Freund bewaffnet, machte er sich auf die Jagd nach Lebendigem. Er hatte sie seit ein paar Tagen beobachtet, und sie hatte sich als viel besser erwiesen als die anderen. Sie war warm. Sie blutete und schlug um sich, vor allem als er die dicke Arteriennadel nahm, um sie zusammenzunähen. Ihr Herz pochte, als er das Ohr an ihr Brustbein legte, und Bliss fragte sich, warum er so lange gewartet hatte, bis er selbst auf die Jagd gegangen war.
Jetzt wußte er, daß er bereit war. Joni. Joni.
Nur noch ein Tag …
Malcolm Bliss stand da und glättete sein schütter werdendes Haar. Es war ein anstrengender Morgen gewesen; er hatte sich einen Drink verdient. Er brachte Cooks Akte in den Schrank zurück, nahm sein Jackett und verließ das Büro.
45. KAPITEL
D ie Frau hinter der Bar nickte ihm immer zu und sagte hallo zu ihm. Sie war eine vertrocknete alte Kuh, ihr Gesicht war es nicht wert, geschminkt zu werden, aber ständig beschmierte sie sich mit Karnevalsfarben. Manchmal zwang er sich zu antworten, aber eines Tages letzte Woche war er am frühen Nachmittag hier gewesen und hatte sie mit Detective Caffery reden sehen. Bliss, der erhitzt und aufgeregt an der Bar stand, beschloß, daß sie es verdient hatte, für diesen Fehltritt heute ignoriert zu werden. Er nahm seinen Drink mit in die Lounge.
Joni würde bald hiersein, und trotz seiner Erregung war er entschlossen, gelassen zu bleiben. Nach all der Zeit, die er hier angespannt und voller Qualen verbracht hatte, weil Joni ihre nackten künstlichen Titten am Gesicht eines anderen rieb, hatte er gelernt, wie man sich als Kneipengänger zu benehmen hatte. Daher war Hartevelds Bitte um Information über die Frauen leicht zu erfüllen gewesen. Bliss machte nie eine Frau an, er kaufte ihnen nur Dinks und hörte zu. Er wirkte so harmlos, daß die Mädchen durch ihn hindurchsahen wie durch einen Geist, und sie plauderten alle ihre kostbaren Geheimnisse aus, bis er alles wußte, angefangen von der Stärke prämenstrueller Beschwerden bis hin zu dem Zeitpunkt, an dem man sie vermissen würde.
Sie hätten gelacht, wenn er sie angemacht oder versucht hätte, sie in die Schenkel zu kneifen. Also verhielt er sich still und wartete auf den Tag, an dem die Mädchen zu ihm kamen, die im Tod süßer waren als jemals im Leben.
Licht strömte aus einer offenen Tür ins Pub. Joni.
Erregt erhob sich Bliss leicht von seinem Sitz und strich mit der Zunge über die Innenseite seiner Zähne. Dann entdeckte er, einen Schritt hinter ihr, die Freundin. Er sank zurück, Ärger kam in ihm auf. Er mochte Jonis Freundin nicht. Sie war ein eingebildetes Miststück, das sich hochmütig als »Künstlerin« bezeichnete, herumstolzierte und die Mädchen in den Pubs malte, als könnte sie durch ihre Kunst was Besseres aus ihnen machen. Genauso erging es den Freiern; er selbst war mehrere Male von ihr gemalt worden. Aber er erinnerte sich noch an die Zeit, als sie selbst eines der Mädchen gewesen war. Damals hatte sie »Pinky« geheißen, »Wahrscheinlich wegen der Art, wie deine Klitoris aus deinem Pelz heraussteht« , flüsterte er vor sich hin. Pinky, die Klitoris. Er zupfte an einem trockenen Hautstück an seiner Nase und betrachtete sie nachdenklich. Mit erhobenem Kopf steuerte sie direkt auf die Bar zu, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Joni kam an seinen Tisch, sie sah gelangweilt aus. Er lächelte und hielt die Hände leicht im Schoß gefaltet. »Hallo, Joni.«
Sie seufzte resigniert. »Hallo, Malcolm. Dachte mir schon, daß du hier wärst. Nichts ändert sich, was?« Sie stellte ihre Sachen auf den Boden und ließ sich ein paar Schritt entfernt von ihm auf die Polsterbank fallen, rutschte bis zur Kante vor und streckte die Füße aus. Sie trug kniehohe Lederstiefel und einen Wildlederrock, der bis zur Mitte der Schenkel reichte. Ihr blondes Haar, das mit zwei herzförmigen Klammern aus der Stirn gesteckt war, hatte denselben Schnitt, den alle Mädchen in den Straßen zu bevorzugen schienen. Bliss gefiel das nicht. Es ärgerte ihn,
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