Der Vogelmann
ihm zufügte. Caffery ließ den Druck kurz nach und drehte den Draht in die andere Richtung.
»So verhält sich ein Feigling, Mr. Caffery«, sagte Bliss plötzlich mit belegter und angespannter Stimme. »So verhält sich ein Feigling.«
Caffery schob das Gesicht näher an ihn heran. »Hast du es getan? Hast du sie umgebracht?«
»Ja.« Bliss schloß die Augen. »Und sie gebumst. Vergessen Sie das nicht.«
Caffery starrte ihn an; seine Finger lagen reglos auf dem Draht. Der Hubschrauber über den Baumwipfeln ging plötzlich in Schräglage, entfernte sich vom Bungalow und flog in Richtung Straße. Das Rattern wurde lauter, der Boden erbebte, und Regentropfen sprühten von den Bäumen, aber Caffery blieb bewegungslos stehen und nahm außer seiner Wut nichts wahr, während er in Bliss’ Gesicht starrte und die günstige Gelegenheit sich ihm so heftig und lebendig aufdrängte, daß seine Augen zu tränen begannen.
Doch dann war dieses Gefühl mit einem Schlag vorbei. Weg.
Er atmete aus, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und schüttelte den Kopf; sein Herz war schwer. Er murmelte etwas, ließ den Draht los und kletterte langsam, ohne Bliss eines weiteren Blickes zu würdigen, den Graben hinauf.
Der Hubschrauber flog vorbei. Essex rollte auf den Rücken und starrte in den grauen Himmel jenseits der zitternden silbernen Blätter hinauf. Ein Vogel, der dort kreiste, richtete beobachtend den Blick auf ihn. Seinem angeborenen Instinkt folgend, pochte sein Herz mühsam weiter und pumpte die letzten nutzlosen Blutreste durch die Wunden an seinen Handgelenken. Komisch, dachte er, ich kann den Regen auf meinem Gesicht nicht spüren. Warum kann ich nicht spüren, wie er auf mein Gesicht tropft?
Zwanzig Sekunden später zuckte sein Herz, dessen Innenwände klebrig, von Gespinst durchzogen und fast trocken waren, kurz zusammen und blieb stehen. Der Regen fiel in klaren Tropfen herab und prallte hart wie Glaskugeln von seinen offenen Augen ab.
Der Hubschrauber verpaßte Caffery und Bliss; etwa fünfhundert Meter von dem Graben entfernt flog er vorbei und folgte der Straße in Richtung Flußmündung.
Weit unten, unter dem Dach der Bäume, hatte Caffery gerade den Rand des Grabens erreicht, als ihn etwas innehalten ließ.
Er preßte sich die Hände an die Schläfen, als befände sich dort ein Schmerz unter der Haut, den er wegmassieren könnte. Er drehte sich um, starrte eine Weile auf Bliss hinunter, der, von Blut und Nässe bedeckt, geduldig wartete. Ein Buchfink, den das im Zaun verhedderte Objekt angelockt hatte, war einen Meter entfernt in einem Platanenschößling aufgetaucht. Er war nicht größer als eine Kinderfaust. Er blinzelte und schätzte mit zur Seite geneigtem Kopf ab, ob es Futter für ihn gab. Caffery sah ihn lange an, bevor er tief Luft holte, wieder den Graben hinunterschlitterte, sein Hemd über die Finger zog und den Draht ergriff.
Ein dünner Blutstrahl schoß in die Luft: Die Ader war durchbohrt. Bliss kreischte und zuckte; seine Füße tanzten, seine Hände schossen reflexartig zum Hals. Caffery hielt den Atem an und packte fester zu.
Dann trat er zurück. Daß hier ein Leben erlosch, berührte ihn nicht, er verspürte nur Triumph, beschwingenden, berauschenden Triumph.
Danach zählte er bis hundert, um sicher zu sein, daß es vorbei war. Er wandte sich ab, glättete sein Hemd und kletterte wieder den Graben hinauf.
Sergeant O’Sheas Männer fanden Joni, deren Körper den engen Flur blockierte. Ein kurzer Blick sagte ihnen, daß sie tot war. Niemand hätte diese Verletzungen überlebt. Fiona betrat mit dem Kamerateam den Bungalow. Zwanzig Minuten später tauchte sie mit ernstem Gesicht wieder auf, um Caffery und Maddox hineinzubegleiten.
»Die andere hat er hier drinnen zurückgelassen.« Sie leuchtete mit der Taschenlampe den dunklen Flur hinunter. »In der Küche.« Fiona blieb stehen und drehte sich zu den beiden um. »Sind Sie sicher, daß Sie das sehen wollen?«
»Natürlich«, murmelte Caffery. Sein Hemd war von Blut und Regen durchtränkt. »Natürlich.«
Fiona drückte die Tür auf.
Der Geruch in dem Raum erinnerte an eine Ferienhütte. Die Jalousien waren heruntergezogen, die Möbel starr angeordnet. Bunte Blumenkissen lagen in Eßstühlen aus Weidenholz. Jemand hatte eine Geburtstagsparty gefeiert; einen Kindergeburtstag. Kuchen war über den Tisch verschmiert. Die Luftballons, die an der Decke hopsten, waren mit Blut bespritzt.
»Hier.« Fiona trat in den Raum.
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