Der Vogelmann
stand am Eingang des Empfangs, er hielt die Tür auf und hatte die andere Hand ausgestreckt, um zwei Frauen hereinzuführen, die fast identisch in Jeans und Lederblousons gekleidet waren. Zögernd traten sie nacheinander ein und setzten sich auf die Plätze, die Essex ihnen wortlos anwies.
»Ich sehe nur schnell nach, ob alles bereit ist.« Essex berührte die Hand der älteren Frau. »Sagen Sie Ihrer Schwester, wenn Sie irgend etwas brauchen. In Ordnung?«
Sie nickte teilnahmslos und preßte ein Taschentuch an den Mund. Ihr Gesicht war ausdruckslos und leer. Ihre Jeans waren hauteng, und an ihren Fußgelenken, wo die Sandalen gescheuert hatten, waren kleine Schorfränder zu sehen.
Rebecca starrte verständnislos auf die beiden Frauen und begriff dann unwillkürlich, daß dies die Verwandten eines anderen Opfers waren. Caffery schwieg. Er wußte, daß es sich um Kayleigh Hatchs Mutter und Tante handelte, die hergekommen waren, um die schreckliche Wahrheit zu erfahren.
Die Tante, die an der Topfpalme vorbei in den von Sonnenlicht erfüllten Gedenkgarten gestarrt hatte, rutschte auf ihrem Sitz herum, seufzte und legte einen Arm um ihre Begleiterin. Weiches Leder knirschte.
»Vielleicht ist sie es nicht. Daran mußt du ganz fest glauben, Dor.«
»Aber es könnte doch sein, oder? Ach Gott.« Sie sah mit ausdruckslosem Blick zum Fenster. »Hier ist es doch sicher nicht verboten zu rauchen, oder?«
Die Glastür öffnete sich, und einer aus dem F-Team trat mit einem Anflug von Lächeln auf dem Gesicht in den kühlen Raum. Ihm folgte Detective Diamond, der lachend seine Sonnenbrille abnahm. Er sah Rebecca an, und sein Lachen verflüchtigte sich zu einem wissenden Lächeln, als die beiden Männer durch den Empfangsraum zum Büro des Leichenbeschauers gingen. Nachdem sie um die Ecke gebogen waren, setzte ihr Lachen wieder ein.
»Wie finden Sie den?« fragte Diamond. »Hören Sie zu.«
»Ja.«
»Also. Was ist der Unterschied zwischen einer Nutte und einer Zwiebel?«
»Na, sagen Sie schon. Was für einer?«
»Liegt doch auf der Hand, ’ne Nutte und ’ne Zwiebel.«
»Ja, also was für einer? Ich geb’ auf.«
»Also gut.« Er hielt inne, und da er das Quietschen der Ledersohlen auf dem Linoleum hörte, wußte Caffery, daß Diamond stehengeblieben war und sich dem anderen Detective zugewandt hatte. »’ne Nutte kann man aufschneiden, ohne zu weinen.«
Im Empfangsraum starrten drei Menschen zu Boden. Caffery sprang auf und rannte um die Ecke.
»Hey.«
Diamond wandte ihm leicht erstaunt den Blick zu. »Was gibt’s?«
»Zeigen Sie wenigstens ein bißchen Anstand, verdammt noch mal«, zischte er. »Sie wissen doch, wo Sie hier sind.«
»Tut mir leid, Kollege.« Diamond hob die Hand. »Kommt nicht mehr vor.« Er drehte sich um, und die beiden Männer setzten ihren Weg zum Büro des Leichenbeschauers fort. Sie kicherten leise und stießen sich leicht an die Schultern, als hätte Cafferys Einwand den Witz nur noch köstlicher gemacht. Caffery atmete langsam aus und ging zum Empfang zurück. Der Schaden war nicht mehr gutzumachen. Das Gesicht von Kayleighs Mutter war tränenüberströmt.
»Ach Dor, ach Dor.« Die Tante verbarg ihr Gesicht am Kragen der Schwester. »Wein doch nicht, Doreen.«
»Aber was ist, wenn das mein Baby ist dort drin, mein kleines, kleines Mädchen. Was ist, wenn sie es ist?«
11. KAPITEL
K ayleigh Hatch wurde von ihrer Tante identifiziert.
»Sie hat ihr Haar abgeschnitten, aber sie ist es. Ich bin mir sicher.«
Damit hatte das AMIP nun vier der fünf Leichen identifiziert. Der Chief Superintendent hatte beschlossen, am gleichen Abend das Stillhalteabkommen mit der Presse aufzuheben, und Maddox glaubte, es riskieren zu können, dem Pub einen Besuch abzustatten.
Wie so oft hatte es sich über London eingeregnet. Es war ein frischer, scharfer Regen, frühlingshell, verglichen mit dem üblichen schmierigen Nieseln, aber dennoch war es Regen. Sieben Beamte in Regenmänteln fuhren in zwei Wagen los. Diamond machte sich mit zwei Leuten aus dem F-Team im Sierra auf den Weg. Caffery nahm seinen Jaguar, zusammen mit Maddox, Essex und Logan.
Das Dog and Bell, an dessen schmutziger Außenseite die Farbe abblätterte, befand sich auf der stickigen Trafalgar Road zwischen einem heruntergekommenen Reisebüro und einem KLEENEZIE-Waschsalon. Im Innern roch es nach kaltem Rauch und Desinfektionsmitteln. Alle Gespräche verstummten, und die Freier, die in der blauen Dunstglocke vor ihren geschätzten
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