Der Vogelmann
wissen, daß sie hier Tänzerin ist.«
»Ich hab’ sie gesehen.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
Gemini zuckte die Achseln. »Is’ lang her, weiß nicht.«
»Haben Sie jemanden gesehen, der mit einem der Mädchen weggegangen ist?«
Gemini lachte höhnisch auf. Er wußte, daß dies eine Fangfrage war. »Also, wieso verarschen Sie mich mit solchen Scheißfragen, Mann? Und da heißt es, die englische Polizei sei schlau!«
»Werden Sie mir antworten?«
»Ich kenn’ mich aus mit euch.«
Der Polizist wurde ganz ruhig. Er starrte auf seine Hände. Gemini sah, wie sich unter seiner glatten, weißen Haut die Zornesröte ausbreitete. Als er aufsah, hatten sich seine Pupillen zu Stecknadelköpfen verengt. »Mr. wie?«
»Für Sie Mr. Niemand.«
»Ah ja, natürlich. Mr. Niemand.« Er hob die Hände; sie hatten Schweißabdrücke auf dem Tisch hinterlassen. »Nun, Mr. Niemand. Mr. Scheißegal , ich habe Ihre letzte Bemerkung nicht verstanden. Handelte es sich dabei möglicherweise…« Er beugte sich vor, die Lippen lösten sich von den Zähnen, seine Stimme war leise. »…um eine Beleidigung der Gesetzeshüter dieses Landes, des Landes, das sie großzügig unterstützt hat und das alle Negerbälger unterstützen wird, die Sie in die Welt setzen, das Ihnen Wohnung und Essen gibt und hinter Ihnen die Scherben aufräumt, wenn Sie einer armen alten Dame die Rente gestohlen haben? Ist es das, was Sie gesagt haben?«
»Sie sind ein Rassist, Mann«, erwiderte Gemini matt lächelnd. »Ich bin vielleicht ein dummer Niggerjunge für Sie, aber ich kenne meine Rechte. Ich hab den MacPherson Report gelesen.«
Der Polizist blieb ungerührt. »Wenn du den MacPherson Report wirklich gelesen hättest, wüßtest du, daß du nichts in der Hand hast. Keiner kann hören, was ich sage. Ich kann so oft Nigger, Tintenkopf und Schwarzarsch zu dir sagen, wie ich will.« Er lächelte. Er hatte Gefallen daran. »Ich kann dir alles an den Kopf werfen. Und weißt du was? Am Schluß steht mein Wort gegen deines. Auch wenn alle Dschungelaffen im Land im Karree springen und ›Rassist‹ brüllen, meinst du wirklich, daß dir irgend jemand zuhört, du kleine Kanalratte?«
Gemini riß der Geduldsfaden. »Ich muß mir das nicht anhören.« Er stand auf. »Sie wollen, daß ich Ihnen helfe, Bulle, dann müssen Sie mich erst kriegen.«
Der Polizist war in Sekundenschnelle auf den Beinen und blockierte die Tür. »Wo glaubst du denn, daß du hinkommst?« sagte er freundlich. Die Worte flossen wie Honig aus seinem Mund. »Negerarsch.«
Und Gemini verlor die Nerven. Er packte ein Bierglas vom nächsten Tisch und schüttete dem Polizisten das Bier ins Gesicht. Der Polizist schloß die Augen nicht schnell genug. Das
Bier traf ihn, er duckte sich weg und riß die Hände vors Gesicht.
»Du mieses Dreckstück!«
Aber Gemini war schon aus der Tür, bevor der andere reagieren konnte.
Für Caffery, der am Fuß der Treppe stand, schien die ganze Begegnung in der surrealistisch wirkenden Langsamkeit eines Stummfilms abzulaufen. Die beiden Männer hatten gelächelt, sich fast beiläufig unterhalten, und in der nächsten Sekunde lag Diamond am Boden und hielt sich das Gesicht, als wäre er mit einem Glas niedergeschlagen worden. Caffery erwartete Blut, aber Diamond wischte sich schnell die Augen ab und rannte mit fliegenden Rockschößen aus der Tür. Zwei vom F-Team sprangen auf, vergaßen ihre Befragungen und standen unter der Tür, wo sie sich vom Regen naß spritzen ließen, während sie die Straße hinuntersahen, um nach ihrem Detective Ausschau zu halten.
Sie mußten nicht lange warten. Mel Diamond tauchte schwer schnaufend wieder am Eingang auf, sein Jackett war mit Regen und Bier benäßt.
»Alles in Ordnung.« Er beugte sich vor und spuckte auf den Gehsteig. »Ich hab’ seine Autonummer. Der kleine Dreckskerl.«
Caffery fuhr den Weg zurück nach Shrivemoor. Maddox saß neben ihm, sein nasser Regenmantel lag mit der Innenseite nach außen auf seinem Schoß zusammengefaltet, Essex und Logan lungerten auf dem Rücksitz und rochen leicht nach Bier. Caffery schwieg. Im Rückspiegel sah er, daß der Sierra in kurzer Entfernung folgte. Diamond saß am Steuer. Caffery bekam ihn jedesmal kurz zu Gesicht, wenn der Scheibenwischer die Windschutzscheibe frei machte. Der Sierra war von Kondenswasser überzogen, die Fenster des Jaguars hingegen kühl und klar.
»Sie haben sich alle mit einem Speicheltest einverstanden erklärt.«
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