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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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in die Runde.« Er hob sein Glas und stürzte es ohne abzusetzen hinunter. »Ich möchte ihn unter Beobachtung stellen. Eine Woche. Ich bin so sicher, daß ich gleich losziehen und es selbst in die Hand nehmen würde.«
    »Jack, ich kann nicht einfach mit den Fingern schnippen und…« Er sah Caffery ins Gesicht und schüttelte den Kopf. »Also gut, also gut. Ich bringe den Chief Superintendent dazu, achtundvierzig Stunden zu bewilligen. Dann überprüfen wir die Sache noch einmal.«
    »Also, Jack, ich glaube, ich kenne Sie schon gut genug, um Sie ordentlich zu tadeln.« Romaine schlüpfte vorsichtig unter Maddox’ Arm und lächelte Caffery an. »Sie müssen die goldene Regel lernen. Keine Dienstgespräche.«
    »Das haben wir nicht«, sagte Maddox.
    »Du lügst. Das sehe ich deinem Gesicht an.«
    »Beachten Sie sie nicht, Jack. Sie will, daß ich früher in den Ruhestand trete.«
    »Sie müssen meinen Mann verstehen.« Sie tätschelte seine Brust. »Er will jeden bei Laune halten. Das lastet auf ihm.«
    Maddox nahm ihre Hand und küßte die Innenseite ihres Gelenks. »Wir hören jetzt auf, das verspreche ich. Ich habe gerade Marilyns Kinder angesehen, weißt du, und an Steph und Lauré gedacht, als sie in dem Alter waren.«
    »Oje. Sentimentalitäten.« Sie küßte ihn und zog sich mit gekräuselter Miene zurück. »Puh. Ich sehe schon, daß ich fahren muß.« Sie wühlte in ihrer Handtasche. »Ich dachte, du müßtest heute nacht arbeiten.«
    »Das muß ich auch.« Er öffnete den Mund und gestattete seiner Frau, ihm etwas grünen Atemspray hineinzusprühen. »Ich hatte nur ein paar Gläser.«

    »Meine Schuld«, sagte Caffery. »Ich bin der Mundschenk …«
    Er hielt inne. Romaines Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Sie legte den Finger an den Mund.
    »Sehen Sie«, flüsterte sie tonlos, die Augen starr auf die Fenstertüren gerichtet. »Drehen Sie sich um.«
    Während sie sprach, fiel Caffery auf, daß alle Gespräche erstarben. Gäste brachen mitten im Satz ab und drehten sich um, um zur Tür zu sehen, mit seltsam erstarrten Gesichtern.
    »Sehen Sie«, wiederholte Romaine und deutete mit dem Finger auf den Garten.
    Langsam, halb von Furcht erfüllt, halb wissend, was er gleich erblicken würde, drehte er sich um.
    Dean saß auf dem Fenstersims, sein Gesicht war blaß, verkniffen und vor Schreck erstarrt angesichts der Erscheinung, die nur ein paar Zentimeter vor ihm aufgetaucht war. Hinter ihm lächelte Veronica schwach, fast fasziniert. Die Fenstertüren waren weit geöffnet, und in dem fahlen Glanz des elektrischen Lichts stand Penderecki: regenüberströmt, das schüttere Haar zerzaust und unter den Blitzen fluoreszierend, und er hielt ein seltsam wirres Bündel von Knochen im Arm.
    Absolute Stille entstand im Raum. Caffery starrte verständnislos in die schwerlidrigen Augen, unfähig, genau zu erkennen, was Penderecki in den Armen hielt.
    Dann leckte Penderecki sich über seine dicken Lippen und ging einfach einen Schritt vorwärts. Die Menge teilte sich, er blinzelte langsam, und mit einem Laut, der wie ein Seufzen klang, ließ er den Arm voller Knochen krachend zwischen die Füße der Gäste fallen.

32. KAPITEL
    N ur Logan und Essex blieben bis ein Uhr morgens. Maddox mußte nach Greenwich, die anderen Gäste gingen eilig davon und warfen Caffery verlegene Blicke zu, der auf der Treppe saß, auf seine Hände starrte und tief atmete, damit sein Herz nicht stehenblieb.
    Veronica, die unverständlich ruhig geblieben war, versuchte, sie zurückzuhalten.
    »Es ist nichts, worüber man sich aufregen müßte. Gehen Sie nicht. Wir können uns doch ins Wohnzimmer setzen.«
    Als ihr klarwurde, daß sie auf verlorenem Posten kämpfte, knallte sie die Vordertür zu und ging schmollend in die Küche, um die Spülmaschine einzuräumen. Logan fuhr nach Greenwich, um seine Beweismittelkiste zu holen, und Essex verbrachte die verbleibende halbe Stunde damit, sich um Caffery zu kümmern und den restlichen Glenmorangie in kleine, verträgliche Mengen aufzuteilen.
    »Wie ein Baby«, murmelte Caffery und starrte ins Glas.
    »Wie ein großes, verrotztes, Windeln tragendes Baby«, stimmte Essex zu. »Also? Werden Sie es mir erzählen?«
    Caffery sah ins Wohnzimmer und rückte näher, damit er den alptraumhaften Knochenhaufen nicht sehen mußte. »Ich glaube, daß das mein Bruder sein könnte.«
    Essex fiel die Kinnlade herunter. »Ihr Bruder ?«
    »Er ging hinterm Haus am Bahndamm entlang. Am 14. September 1974. Er ist

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