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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Nacht dazu überreden, mit ihm ins Bett zu gehen, während Veronica leise und einsam in den Tod hinüberglitt.
    Mit rasendem Puls stand er da, während sich diese Möglichkeit von selbst erledigte. Dann holte er tief Luft und öffnete langsam, ganz langsam die Schlafzimmertür.
    »Mist.«
    Sie hatte das Bett gemacht und auch hier abgestaubt. Aber ihm bot sich kein lähmender Anblick einer Toten, keine Blutspritzer an der Wand, keine leeren Pillenschachteln. Keine Veronica.
    Schnell überprüfte er die Schränke. Alles war so, wie es sein sollte, die gestreiften Handtücher waren ordentlich aufgestapelt, die Uhr auf dem Nachttisch tickte leise. Also dann Ewans Zimmer. Er ging wieder auf den Treppenabsatz hinaus und stellte fest, daß die Tür zu Ewans Zimmer offen war. Veronica stand nicht weit von der Tür entfernt und starrte ihn an.
    »Veronica.«
    Sie sahen einander einen Moment an, ihre Herzen rasten. Sie trug eine weiße Seidenbluse und eine weiße Leinenhose. Ein Schal, der mit winzigen goldenen Schnallen bedruckt war, wurde am Hals von einer Diamantnadel festgehalten. Ihr Gesicht war bleich und beherrscht. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß sie versucht hatte, sich etwas anzutun.
    »Warum bist du in meinem Haus?«
    »Ich bin gekommen, um die Gläser meiner Mutter abzuholen. Ist das erlaubt?«
    »Nimm sie und geh.«

    »Höflichkeit.« Sie zog die Luft durch die Zähne ein und hob die Augenbrauen. »Kennst du das Wort, Jack? Höflichkeit? «
    »Ich bin nicht hier, um mit dir zu streiten …« Er hielt inne und ließ den Blick über den Rest des Raumes schweifen, über die leeren Regale und die Ablagekästen auf dem Boden: alle offen, alle aufgerissen, ausgeleert.
    Einen Moment lang stand er da, sah schweigend und reglos darauf hinunter und spürte nur das drängende Pochen seines Herzens.
    Mist, sie weiß genau, wie sie mich treffen kann.
    Dann trat er einen Schritt nach vorn, ignorierte, daß sie ruhig neben ihm stand, und kauerte sich mit zitternden Händen inmitten der Trümmer nieder. Während er die Kästen durchsah, sie aufhob, umdrehte und schüttelte, mit zitternden Fingern durch die leeren Schachteln strich, wußte er, daß er wenig finden würde. Er wußte, wie gründlich eine verletzte Frau wie Veronica ihre Arbeit verrichtete.
    »Nun?« sagte er schließlich, setzte sich auf die Fersen und atmete schwer. »Also? Was hast du getan? Wohin hast du die Sachen gebracht?«
    Sie zuckte die Achseln, als würde sie sein Interesse erstaunen, und wandte sich gleichgültig ab, um aus dem Fenster zu sehen. Widerstrebend folgte er ihrem Blick. Hinter den blassen, wehenden Vorhängen zogen dicke Rauchschwaden über den Mond.
    »Mist«, seufzte er. »Mist, ja, natürlich, ich hätte es mir denken können.« Erschöpft stand er auf, durchquerte den Raum und legte seine kalten Finger auf die Scheibe. Und dort, auf der anderen Seite des Bahndamms, von sprühenden Funken schwarz und rot beleuchtet, stand wie erwartet Penderecki. Er hielt den Deckel des Verbrennungsofens auf, um eine weitere Handvoll hineinzuwerfen, pfiff vor sich hin und lächelte, als hätte er nur darauf gewartet, daß Jack kommen würde.
    »O Veronica.« Er lehnte die heiße Stirn an die Scheibe und stieß ein tiefes Seufzen aus. »Du hättest mir statt dessen das Herz herrausreißen sollen.«

    »Ach komm, Jack, übertreib nicht.«
    »Du Miststück«, murmelte er. »Du elendes Miststück.«
    »Was? Wie hast du mich genannt?«
    »Miststück.« Caffery drehte sich ruhig zu ihr um. »Ich habe dich ein verdammtes Miststück genannt.«
    »Du bist verrückt.« Sie sah in ungläubig an. »Weißt du, manchmal bringst du mich so weit, daß ich hoffe, dieser Perverse hätte deinen Bruder umgebracht. Und zwar langsam.« Ihr Gesicht zuckte. »Weil du es verdient hast, Jack. Du hast es verdient für die Art, wie du mich umbringst. Du bringst mich um …« Aber Caffery hatte sie grob am Arm gepackt. Ihre Manschettenknöpfe sprangen ab und flogen durch das Zimmer. »Jack!«
    Er zerrte sie zur Tür und zertrat und verstreute dabei die leeren Ablagekästen. »Jack!« Sie trat mit den Füßen nach ihm. »Laß mich los! Jack!«
    »Halt den Mund.« Der Zorn machte ihn stark und ruhig. Er zerrte sie die Treppe hinunter und genoß ihre Hilflosigkeit, er genoß ihr vergebliches Spucken und ihren Widerstand, während ihre manikürten Finger übers Geländer scharrten. Am Fuß der Treppe blieb er stehen, hielt sie eine Armeslänge von sich ab und sah sie ruhig

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