Der Vollzeitmann
ägyptische Pharaonin gewesen zu sein. Und im Mittelalter eine Hexe, die verbrannt wurde.
Attila hörte sich ihre Geschichten beim Essen anfangs durchaus vergnügt an. »Hauptsache, du warst auch mal eine Sklavin«, hatte er neulich mal gesagt. Fand sie gar nicht lustig. Der heilige Ernst, mit dem Camille ihre früheren Leben bearbeitete, machte Attila skeptisch. Ihre Obsessionen wurden immer schlimmer: Sie wollte eine Rückführungs-Therapie machen, nicht so eine Express-Nummer am Wochenende, sondern vier Wochen lang bei einem Guru in Kalifornien; und sie wollte Yoga-Lehrerin werden.
Attila betrachtete die Entwicklung seiner Frau mit einiger Sorge. Was würden die Kollegen bei Wesley sagen, wenn sich herumsprach, dass seine frisch erworbene Frau plötzlich bei zottelbärtigen Handauflegern am anderen Ende der Welt herumspränge? Vielleicht könnte man die Legende verbreiten, sie müsse sich um ihre kranke Mutter in der Ukraine kümmern.
»Ein Kind hatte noch jede Frau an die goldene Kette gelegt.«
Eigentlich war die Lösung ganz einfach: Camille musste schwanger werden, und zwar sofort. Ein Kind hatte noch jede Frau an die goldene Kette gelegt. Eine tolle, junge, moderne Familie - deswegen hatten sie schließlich doch überhaupt geheiratet.
Attila spürte seine Innereien schon wieder rumpeln. Eine ordentliche Darmreinigung gehöre übrigens zu jeder professionellen
Rückführung, hatte Camille ihm heute Morgen noch erklärt. Papperlapapp. Was interessierte ihn die Vergangenheit? Bei Wesley wurde Zukunft gemacht. Von ihm.
14 UHR
Vergnügt bohrte Martin die Stahlspitze in das blutige Lamm. Das Fleischthermometer zeigte zweiundfünfzig Grad - perfekt. Er hatte den gespickten Rücken bereits am Morgen in den Ofen geschoben. Dorothea aß fast kein Stück Fleisch mehr, das nicht bei Biosauna-Temperatur, dafür aber tagelang gegart worden war. Außerdem hatten Gäste dann das gute Gefühl, man habe sich sehr akribisch auf ihren Besuch vorbereitet. Elternzeit ist wie Niedrigtemperaturgaren, dachte Martin. Dauert ewig, und am Ende ist man fertig. Gut, dass Ming endlich da war. Optisch war sie eine ziemliche Enttäuschung. Mit ihren kurzen Beinen und dem gedrungenen Leib war sie gemacht für die Arbeit im Reisfeld. Aber bei Happy Parents hatte man geschworen, dass genau diese Maschinenbaustudentin aus Shenzen das beste Kindermädchen aus der ganzen großen Kartei sei. Happy Parents vermakelte nur High Potentials als Babysitter. Ming sprach wirklich ein sehr ordentliches Hoch-Mandarin, das hatten sie überprüft. Sie war gehalten, den Kindern das Zählen beizubringen, Sätze des Alltags und chinesische Lieder, aber nicht den Kommunistenkram.
Martin war erleichtert: Er war Norbert los, Ming würde Otto abholen, beide unter Absingen eines albernen Abzählreims in Mandarin bespaßen und schließlich ins Bett bringen. Die Kinder würden nur noch einmal nerven, in jenem kurzen Moment, da sie für Dorothea die glückliche Familie spielen und vor dem hohen Besuch auftreten mussten.
Elternsein war eine prima Sache mit dem richtigen Personal,
das leise, aber effektiv im Hintergrund wirkte. So wie die Garten-Gabis, die gerade Blumenerde und Töpfe mit Grünzeug anschleppten, um einen Hauch von Algarve auf ihre Dachterrasse zu zaubern. Oder war es Stockholmer Schären-Stil? Keine Ahnung, was Dorothea heute Morgen mit ihrem schwulen Geranien-Gustl besprochen hatte. Hauptsache, heute Abend war alles perfekt.
Martin fragte sich, wie zwei arbeitende, aber nicht üppig verdienende Eltern ihr Leben jemals organisiert bekämen. Er taumelte ja schon ohne all diese helfenden Hände permanent am Rande des Nervenzusammenbruchs.
»Elternzeit ist wie Niedrigtemperaturgaren, dachte Martin. Dauert ewig, und am Ende ist man fertig.«
In der Küche arbeitete Frederic am Rest des Menüs. Frederic hieß in Wirklichkeit bestimmt Wojciech und kam aus der hinterletzten Minenstadt in Polen. Aber er nannte sich »Frederic«, weil auch der dümmste Rübenbauer dann an »Chopin« und »Warschau« dachte. Frederic hatte den gesamten Jamie-Oliver-Krempel drauf, allerdings würgte es Martin beim Gedanken an jenes gipsgleiche Erbsenpüree, das in den letzten drei Jahren bei so ziemlich jedem Abendessen aufgetischt worden war. Aber Dorothea bestand auf Jamie Oliver. Immerhin besser als LichterLaferLaber.
Heute Abend würde es Kaviar in Plattpfirsichen geben, nicht die Massenware aus dem Supermarkt, sondern echte Weinbergpfirsiche von einem kleinen
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