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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter W. Hohenester
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schleunigst hangabwärts hinter einem Busch.
    Als ich zurückkam, saß der Schamane auf seinem Sitz und reckte sich.
    »Sag«, sprach er. »Kennst du das Spiel der Springenden Böcke?«
    »Sicher«, sagte ich.
    Dieses Spiel kannte ich gut. In allen Höhlen spielten wir Männer es. Besonders im Winter, wenn der Schnee zu tief lag, oder der Sturm uns daran hinderte, auf die Jagd zu gehen.
    »Hast du Lust? Wollen wir spielen?«
    Der Schamane wurde lebhaft. Seine Augen funkelten vor Vergnügen.
    Ich hatte sehr wohl Lust auf ein Spiel. Ich hatte immer Lust auf ein Spiel.
    Als der Schamane das vernahm, hob er die Arme und sprach:
    »Großes altes Mammut, ich danke dir dafür, dass es dir in deiner Güte gefallen hat, diesen Mann, der das Spiel der Springenden Böcke kennt, zu mir zu schicken.«
    Höflich, wie es die gute Sitte befahl, hob darauf hin auch ich die Arme gen Himmel und sprach: »Auch ich danke dir Großes altes Mammut, das du mich hierher, zu diesem Mann des Wissens geführt hast.«
    Nachdem der Austausch der Höflichkeit beendet war, eilte der Schamane in seine Hütte und kam gleich darauf mit einer neuen Überraschung zurück. Er trug eine Platte aus schwarzgrauem Gestein. Nachdem er sie zwischen uns niedergelegt hatte, erkannte ich, dass sie als Spielfeld für das Spiel der Springenden Böcke diente. Die acht Mal acht Felder waren fein säuberlich darauf eingeritzt. Die hellen Felder waren matt geschabt, die dunklen Felder glänzten schwarz poliert. Ich staunte nicht schlecht. Noch nie hatte ich solch ein schönes Spielfeld gesehen. Wir hatten die Felder immer nur in Sand oder Lehm gekratzt und uns dann davor gehockt, um zu spielen. Eine Spieltafel wie der Schamane sie eben gebracht hatte war mir noch nie begegnet. Besonders erstaunte mich die glatte Ebenheit des Steines. Der Schamane erklärte mir, es gäbe gar nicht weit von hier einen schwarzen Berg, der aus lauter flachen Platten bestünde. Es wäre ganz einfach, sie herauszulösen. Ein Knochenmeißel in eine Fuge geschlagen, würde wundervoll flache Scheiben aus dem Felsen sprengen.
    Dann erkundigte er sich, ob ich eigene Spielplättchen hätte, und von welcher Farbe sie wären.
    Spielplättchen besaß ich. Meine Spielplättchen hatten die Farbe des Lebens. Sie waren rot wie die Glut des Feuers, sie waren rot wie das Blut. Ich hatte sie selbst aus Knochen mit kreisrundem Querschnitt gesägt. Eine mühsame Arbeit. Dreimal die Finger einer Hand plus eins, musste ihre Anzahl betragen. Nachdem die Scheibchen gesägt und geglättet waren, hatte ich gegen eine Muschelkette kostbaren Rötel eingetauscht. Den hatte ich mit der klaren Flüssigkeit der Vogeleier gemischt und mit den Fingern auf die Scheiben aufgetragen. Tagelang waren meine Fingerspitzen noch rot geblieben. Lockenköpfchen, meine kleine Tochter hatte geweint als sie meine Finger sah, weil sie dachte, ich wäre verletzt. Und Blauauge, mein Söhnchen, war um mich herumgesprungen und hatte dauernd geschrien: »Rotfinger, Blutfinger, Rotfinger.« Bis ich ärgerlich geworden war und ihm gedroht hatte, wenn er nicht sofort aufhören würde, mit diesem Geschrei, würde ich Hellgacka seiner Mutter, mit der ich damals das Lager teilte, erzählen, dass er es gewesen war, der in der kleinen Höhle am Waldrand, in der wir die Vorräte für den Winter aufbewahrten, den Honigklumpen angefressen hatte, und nicht, ein verirrtes Bärenjunge, wie er immer behauptete. Erst da hielt er den Mund, denn er fürchtete das endlose Gezeter von Hellgacka genau so wie ich.
    »Gut«, meinte der Schamane, nachdem er erfahren hatte, von welcher Farbe meine Spielplättchen waren. »Dann spiele ich mit der Farbe des Todes, den knochenweißen Steinen.«
    Der Schamane hatte seine Spielscheiben in einem Säckchen schon mitgebracht. Er beobachtete mich, als ich in meinem Fellsack kramte. Dabei kullerte einer meiner Sprechenden Steine aus dem Sack. Ich versuchte, ihn unauffällig zurückzustecken.
    Aber der Schamane hatte ihn bereits bemerkt.
    »Was war das?« fragte er wissbegierig.
    Ich wurde verlegen. Die Sprechenden Steine waren etwas, das mich seit Langem beschäftigte. Ihre Entwicklung war noch lange nicht abgeschlossen. Ich befürchtete er könne mich auslachen. Da ich jedoch, von ihm noch vieles an Belehrung erwartete, besonders über diese »Kraft des Alles Bewegenden«, und wie ich dieser Kraft teilhaftig werden könnte, und er ja auch versprochen hatte, mich zur heißen Quelle zu führen, mochte ich ihm die Auskunft nicht

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