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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter W. Hohenester
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Der Mann der alten Rasse
    »Dieser Stein«, begann ich. »Und alle die dazugehören, haben eine Vorgeschichte. Weit von hier, auf einem meiner Streifzüge durch ein abgelegenes hügeliges Waldgebiet, folgte ich der Spur eines verletzten Rehes. Da trat unverhofft hinter einer dicken Eiche ein Fremder hervor. Er war breitschultrig, aber kleiner als ich. Er trug nur einen Lendenschurz. Seine Brust und sein Rücken waren mit wolligen Haaren bedeckt. Er sah gefährlich wild aus, mit seinem bärtigen Gesicht, der fliehenden Stirn und den gewaltigen Wülsten über seinen schwarzen Augen. Diese Augen jedoch blickten sanft und freundlich. Auch sonst wirkte sein Auftreten friedfertig. Waffen konnte ich keine bei ihm entdecken.
    Nachdem ich meinen Schrecken über sein Auftauchen und sein fremdartiges Aussehen überwunden hatte, legte ich meine Waffen nieder, um ihn zu begrüßen, wie es die gute Sitte befiehlt. Er aber rührte sich nicht. Er sah mich nur verwundert an, gestikulierte mit seinen Händen herum und sprach mit langsamer, schwerfälliger Zunge, viele Worte zu mir, von denen ich kein Einziges verstand. Ich erkannte, dass wir beide verschiedene Sprachen benutzten, und wurde sehr traurig. Denn obwohl wir beieinanderstanden und uns etwas mitzuteilen hatten, trennte uns eine tiefe Schlucht des Nichtverstehens, und jeder von uns blieb einsam und allein.«
    Der Schamane, der gespannt zugehört hatte, unterbrach mich mit einer Geste.
    »Konntet ihr euch denn nicht direkt verständigen? Von Kopf zu Kopf? Du bist ein Nachfahre des Od, dir müsste es gegeben sein. Du weißt, was ich meine?«
    Ja, ich wusste, was er meinte. Mit den schwarzen Vögeln des Od verständigte ich mich so. Einfach von Kopf zu Kopf. Ohne besondere Laute zu benutzen.
    »Nein«, sagte ich. »Ich konnte kein Bild und keinen Gedanken von ihm empfangen. Und er auch nicht von mir.«
    »Dann muss er einer von der alten Rasse gewesen sein«, stellte der Schamane fest. »Aber bitte, erzähle weiter.«
    »Wir standen uns also verwirrt und traurig gegenüber. Versuchten es wieder und wieder, redeten lauter, deutlicher und verstummten schließlich enttäuscht. Es ist schrecklich, nach Wochen der Einsamkeit in der Wildnis einem Menschen zu begegnen und sich nicht mitteilen zu können. Schließlich drehte mir der Fremde den Rücken zu und ging vor mir her auf der Spur des Rehs. Ich folgte ihm, immer noch in der Hoffnung einen Weg der Verständigung zu finden. Wir erreichten eine kleine Lichtung mit einer Feuerstelle. Rings um die Feuerstelle lagen weiße Kieselsteine. Da kam mir ein Einfall. Ich nahm einen der Steine zur Hand, tauchte meinen Finger in die Asche, malte ein Zeichen für Mann darauf, reichte dem Fremden den Stein und deutete mit der freien Hand auf mich. Er verstand sofort, griff sich auch einen Stein und zeichnete mit dem verkohlten Ende eines Zweiges ebenfalls das Zeichen für Mann darauf, nur statt des einfachen senkrechten Mittelstrichs malte er ein kräftiges Rechteck und deutete auf sich. Ein breites Grinsen verklärte sein Gesicht. Wir hatten eine stumme Sprache erfunden. Wir holten mehr und mehr der weißen Steine herbei. Wir zeichneten das Symbol für Frau, eines für Kind, legten Mann, Frau und Kind zusammen, und erkannten, dass Familie gemeint war. Wir malten Zeichen für Bäume, Rehe, Jagd und Höhle. Drei Tage und Nächte blieben wir zusammen und erfanden immer neue Zeichen und Zusammensetzungen von Zeichen, mit denen wir uns Auskunft über unser Leben und unsere Vergangenheit geben konnten. Als wir uns trennten, blieben auf der Lichtung drei Berge mit bemalten Steinen zurück.
    Seither, habe ich viel Zeit damit verbracht einfache Zeichen, die jeder verstehen, kann für die wichtigsten Worte unserer Sprache zu finden. Die habe ich in kleine Steine wie diesen hier geritzt.« Ich hob dem Schamanen den Stein aus meinem Fellsack entgegen. »Ich habe es getan«, kam ich zum Ende meiner Erzählung. »Um nie wieder das schreckliche Gefühl zu erleben, nach langer einsamer Wanderung einem Menschen gegenüberzustehen, von dem mich der Abgrund der Sprachlosigkeit trennt. Aber wir, dem Großen alten Mammut sei Dank, wir brauchen diese Steine nicht.«
    Der Schamane lächelte still vor sich hin.
    »Du hast die Steine sprechen gelehrt. Es ist sehr gut, dass dich das Große alte Mammut zum Tal der heißen Quelle geschickt hat. Es liegt dort hinten.« Er deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. »In drei Tagen machen wir uns

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