Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)
auf den Weg. Alle Schamanen der Gegend treffen sich dort, wenn der Mond im vollen Licht erstrahlt. Aber jetzt lass uns endlich spielen.«
Wir spielten. Der Schamane gewann.
Die nächsten Tage verbrachten wir mit alltäglichen Beschäftigungen. Der Schamane wies mir den Weg zur Trinkwasserquelle. Ich angelte nach Fischen in dem Bach, durch den ich auf dem Herweg gewatet war, und hatte Glück dabei. Die Nächte verbrachte ich auf dem Hängefellbett in der Schamanenhütte.
Ojun zeigte mir seine Sammlung mit Stücken aus der Holzzeit. Ein Objekt fiel mir besonders auf. Ojun bezeichnete es als holzzeitliche Wurfkeule. Er behauptete diese Waffe käme, wenn sie fachgerecht geworfen würde, zurück in die Hand des Werfers, falls sie ihr Ziel verfehlt haben sollte. Ich glaubte ihm nicht. Das Ding hatte kaum Ähnlichkeit mit einer richtigen Keule. Es war etwa so lang wie ein Unterarm und winklig gebogen. Die flach geschabten Flächen waren mit eingeritzten Vogelköpfen verziert. Eine sehr schöne Arbeit. Aber eine Waffe, die in die Hand des Werfers zurückkehrte, wenn sie ihr Ziel verfehlte? Nein. Das gab es nicht. Da hatte mir der weise Ojun etwas vorgeflunkert. Ich verschwieg ihm jedoch meinen Zweifel. Sollte er seinen Spaß haben und mich für einen leichtgläubigen Dummkopf halten. Das Wichtigste war, dass er mich ins Tal der heißen Quelle brachte.
Die heiße Quelle
Am Morgen des dritten Tages machten wir uns auf den Weg. Der Tag versprach schön zu werden. Die Morgensonne ließ den Himmel rot erglühen, als wir auf der Schattenseite der Hütte ins nebelverhangene Tal hinabstiegen. Diesmal ließ der Schamane sich Zeit. Er nahm Rücksicht auf mich, der ich die Tücken des steilen Steigs noch nicht kannte. Je tiefer wir kamen, desto kälter und feuchter wurde die Luft. Der Nebel hing rötlich angehaucht über uns. Erst im Fichtenwald, als es wieder aufwärtsging, wurde die Sicht klarer. Der braune Nadelboden vibrierte dumpf unter unseren Schritten. Wir kamen rasch voran. Nach dem Wald erwartete uns ein mit hüfthohen Felsbrocken übersäter Höhenrücken. Dann wanderten wir an einer tiefen Schlucht entlang. Ein Stein löste sich unter meinen Füßen und flog über den Rand hinab. Es dauerte lange, bis er in der finsteren Tiefe auftraf. Scharf klang das Echo seines Aufschlags zwischen den steinernen Wänden hin und her springend herauf. Wir wandten der Schlucht den Rücken und wanderten durch zwei aufeinanderfolgende kleine Täler. Danach erklommen wir einen Buckel, der mit saftigem Gras bedeckt war. Gelbe und blaue Blumen wuchsen dazwischen. Jetzt stand die Sonne hoch am Himmel. Schweiß lief über unsere Körper, als wir zwischen den Felsen Rast machten.
»Die längste Strecke haben wir hinter uns«, sagte der Schamane. »Wir wollen uns stärken und ein Nickerchen machen.«
Wir aßen von den mitgebrachten Vorräten und tranken Wasser dazu. Ich schob meinen Fellsack bequem zurecht und stützte meinen Kopf darauf. Durch das bizarre Gewirr der Äste eines verkrüppelten Baumes, der sich an den Felsen über mir klammerte, schimmerte die unendliche Weite des blauen Himmels. In der Ferne, vor einer steilen Felswand stand eine hohe Kiefer. Zwei schwarze Punkte umflatterten sie. Mir war als hörte ich die leisen Stimmen der Vögel des Od. Die Welt war voll Frieden. Ich schlief ein.
Am späten Nachmittag wanderten wir am Rand der Wiesen, knapp unterhalb der Felsen entlang. Die Berge rückten auseinander. Das Tal weitete sich vor unseren Augen. Da zeigte mir der Schamane in einer Senke eine größere Siedlung. Ich erkannte eine große Feuerstelle auf einem freien Platz und mehrere Fellzelte von der bei uns üblichen rechteckigen Bauweise. Das Feuer wurde gerade vorbereitet. Ich sah kleine Gestalten, die Holz herbeischleppten. Nicht weit davon ragten Felswände auf, in denen ich die Öffnungen vieler Höhlen erkannte.
»Wir sind gleich da«, sagte der Schamane.
Er führte mich zu einem finsteren Waldstück, das den Eingang in eine schmale feuchte Schlucht verbarg. Wir stiegen die enge Klamm hinauf. Wasserfälle stürzten mit ohrenbetäubendem Lärm herab. Das Wasser prallte oberhalb unseres Weges aufs Gestein, zersprühte in kleine Tropfen und ergoss sich als kalter Schauer über uns. Die Felswände standen so dicht zusammen, dass kaum Licht bis nach hier unten drang. Ich stolperte über Steine, rutschte auf nassem lockerem Geröll aus und blieb mit dem Fellsack auf meinem Rücken an boshaft nach mir greifenden dornigen
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