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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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wiederholten Male vor, würde er seinen Freund nach dem tieferen Grund für dessen Abneigung gegenüber allen Männern der Kirche fragen. Doch augenblicklich mühte er sich um eine Erklärung.
    »Der Prior ist ein kluger Mann. Er weiß eine Menge über die Psalmen. Doch was er hinsichtlich der Morde daraus schloß, das hörte sich nicht gut an.«
    »Erzähl doch!« drängte Agnes.
    »Er sprach von einem Fluch und äußerte die Befürchtung, daß großes Unheil bevorstünde.«
    »Herr im Himmel!« entfuhr es der Wirtin mit vor Schreck geweiteten Augen.
    »Sicher ist nur«, warf Paul nüchtern ein, »daß der Jakob den Pütrich und seine Sippschaft verflucht hat. Und das mit gutem Grund.«
    »Aber darum geht es vielleicht gar nicht mehr«, entkräftete Peter den Einwand. »Der Streit zwischen Jakob und den Pütrichs hat wahrscheinlich mit dem Unheil soviel oder sowenig zu tun, wie Judas mit dem Tod des Herrn. Judas hat zwar Verrat am Herrn begangen, aber getötet hat er ihn nicht. Er war nur so etwas wie das unselige Werkzeug der göttlichen Vorsehung.«
    »Was hat das mit Jakob zu tun?« fragte nun auch Agnes verständnislos.
    »Nun«, spann Peter geduldig die Überlegung fort, »so wie Judas nur den Beginn der Leidensgeschichte bewirkte, so ist die Ermordung Jakobs und wohl auch die des Peitinger vielleicht nur ein Vorzeichen für weit schrecklichere Greuel, die erst noch geschehen werden.«
    »Woran denkst du?« fragte Agnes entsetzt.
    »Ich weiß es selber nicht recht«, räumte Peter ein. »Aber der Prior meinte, der Fluch könnte ebenso unserem König als auch den Juden gelten.«
    »Hirngespinste«, schmetterte Paul die Befürchtungen ab. »Die Pfaffen wittern doch hinter allem und jedem ein Werk des Teufels. Wer sollte denn daran interessiert sein?«
    »Ich geb’ ja zu, ich weiß es nicht«, betonte Peter nochmals. »Aber nicht alle scheinen schließlich dem Herrn Ludwig gewogen zu sein. Denk nur an seinen Bruder Rudolf und die Österreicher.
    Der Prior scheint aber eher zu befürchten, daß irgendwelche Bürger dieser Stadt den Juden ans Leben und an den Beutel wollen.«
    »Womit nur die Saat aufginge, die Männer wie er beizeiten gesät haben«, erwiderte Paul sarkastisch.
    »Ich seh’ schon«, resignierte Peter, »du willst dem Prior keinen Glauben schenken.«
    »Wozu auch?« maulte Paul. »Für mich gibt es zwei Tote, die so wahr sind wie der Gestank ihrer Verwesung, und es gibt einen oder mehrere Mörder, die es zu finden gilt. Was nützen dabei die Alpträume eines Pfaffen und sei er noch so gelehrt?«
    »Zumindest wird der weit weniger wahrscheinlich in der Hölle braten als du«, prophezeite Agnes dem frechen Spötter. »Und dort gibt’s kein Bier«, fügte sie lachend hinzu. »Im übrigen geht ihr jetzt besser an eure Arbeit!«
    Peter kam es bei der augenblicklich verstockten Haltung Pauls nicht ungelegen, die mühsame Diskussion fallenzulassen und der Aufforderung seiner Wirtin und Geliebten Folge zu leisten. Doch die Befürchtungen des Priors beschäftigten ihn auch weiterhin. »Du könntest den Richter davon in Kenntnis setzen«, hatte er ihm geraten.
    Leicht gesagt, dachte Peter bei sich. Der Richter hätte ihn zuletzt eher zum Teufel gewünscht, als auch nur einen Rülpser auf seine Meinung gegeben.
    Aber da war auch noch die Sache mit Leonhart. Peter fragte sich, warum Konrad Diener nicht längst den Prozeß eröffnet hatte, um den beschuldigten Flößer alsbald dem Henker zum Strangulieren zu übergeben. War es am Ende ein gutes Zeichen und der Richter sich seines Urteils nicht mehr ganz so sicher? Peter wünschte, es wäre so. Aber mit dieser vagen Hoffnung brauchte er nicht vor den Leonhart hinzutreten. Ihm wurde bewußt, daß er sich bislang auffallend um eine Begegnung mit dem unglückseligen Raufbold in der Schergenstube gedrückt hatte. Und hatte auch bisher noch keiner der Flößer Peter offen daraufhin angesprochen, so drängten ihn doch ihre beredten Blicke wie bohrende Fragen. Was aber hatte er inzwischen erreicht? Und was durften die anderen von ihm erwarten? Erwartung – ja, das war es, was ihn zunehmend quälte. Es war nicht ein Gefühl von Schuld, das er verspürte, mehr eine Art Druck – schwer lastender Druck, der unaufhaltsam wuchs und dem zu entziehen er sich nichts sehnlicher wünschte. Was wollten sie alle von ihm? Was konnte er dafür, daß Leonhart sein Maul und seine Fäuste nicht beherrschen konnte. Was ging ihn schon der grausige Tod des Peitinger an? Und hätte

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