Der Wachsmann
gesehen oder… nein, es war in Notre-Dame zu Paris. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Peter.
»Verstehst du nicht? Hier Judas Ischarioth, dort der Löwe von Juda: Das sind Anspielungen auf das Volk der Hebräer! Herr im Himmel, das könnte bedeuten…«
»Was?«
»Nun, daß irgend jemand möglicherweise plant, sich an den Juden zu vergehen. Oder daß er durch die Morde zumindest einen Verdacht auf sie lenken will. Es wäre nicht das erste Mal und auch nicht in dieser Stadt.«
»Aber wer tut solches?« fragte Peter angewidert. »Wem ist daran gelegen?«
»Oh« – der Prior lachte bitter auf–, »Christenmenschen wie du und ich. Und die wenigsten sind verblendet und glauben, daß sie Gott dienen, indem sie den Mord an Jesus durch neue Morde an den Juden sühnen. Die Mehrzahl handelt aus Habgier und Neid und weiß sich dabei in schönstem Einklang mit dem großen Aquinaten, der es für rechtens erklärte, sich am Vermögen der Juden schadlos zu halten. Was glaubst du, wie viele ehrbare Kaufleute in dieser Stadt bei den Juden hoch verschuldet sind und bei einem erneuten Pogrom noch selbst das Öl ins Feuer gössen, weil sie ihren Vorteil darin sähen.«
»Was können wir dagegen tun?« fragte Peter aufgeregt. »Ich meine…«
»Wenig«, wehrte der Prior ab, »es ist Sache des Richters. Du könntest ihn in Kenntnis davon setzen, so er es nicht schon weiß. Und ansonsten: Wachen und beten!«
»Haltet mich nicht für undankbar«, erwiderte Peter, »aber das kann doch nicht alles sein. Hier läuft ein Mörder durch die Stadt, der nicht nur Christenmenschen auf gräßliche Weise abschlachtet, sondern mit seinem Haß vielleicht noch die ganze Stadt in Brand setzt. Und das alles gerade jetzt, wo auch noch die Bedrohung von außen wächst. Man muß doch etwas tun!«
»Ich verstehe deine Aufregung«, beschwichtigte der Prior. »Höre meinen Rat! Den beiden Morden haftet etwas höchst Mysteriöses an, und in der Stadt gehen schon Gerüchte über Zauberei und Dämonen um. Das ist ein übles Geschäft, das man auch den Juden nachsagt. Aber es gibt Männer, die sich von Amts wegen damit beschäftigen. Geh zu den Brüdern des heiligen Franziskus! Ich will nicht leugnen, daß ihr Verhalten mitunter sonderbar und närrisch ist und sie sich gar selber ioculatores Dei, Spielleute Gottes nennen. Einige aber entweihen die heiligen Hymnen, indem sie die Flüche für verderbliche Ziele mißbrauchen und sich mit dem Teufel verbünden. Dies ist ganz und gar verwerflich und bedarf strengster Observation und nötigenfalls Bestrafung. Es ist die Aufgabe der heiligen Inquisition, der die Brüder des Franziskus nebst den Dominikanern dienen. Geh zu ihnen und befrage sie. Und nun behüt’ dich der Himmel.«
Der Prior eilte dem Refektorium zu, während Peter sich der Pforte, die direkt auf die Neuhausergasse führte, zuwandte. Inzwischen war es Abend geworden, und er verspürte ein lebhaftes Hungergefühl.
Während des Mahles drang Paul in ihn, wie das Gespräch mit dem Bruder denn gelaufen sei. Aber Peter war an diesem Abend recht einsilbig. Er mußte nachdenken, und das erforderte Ruhe. So suchte er bald sein Lager auf und lag dort noch lange wach, ehe ihn der Schlaf von den Aufregungen des Tages gnädig erlöste.
13. Kapitel
Während Peter am anderen Morgen versonnen eine Schale Hirsebrei in sich hineinlöffelte, schauten ihn Agnes und Paul so erwartungsvoll und auffordernd an, daß er sich schließlich zu einer Erklärung genötigt sah. Er berichtete widerwillig, daß er Streit mit seinem Bruder gehabt habe, enthielt sich dabei aber jeglicher Rachewünsche oder Häme.
Paul, der für gewöhnlich keinem herzhaften Streit aus dem Wege ging, verzog enttäuscht das Gesicht und wollte sich mit den dürren Erklärungen seines Freundes nicht einfach zufriedengeben.
»Na, und?« forschte er daher, »hast du ihm wenigstens ordentlich Bescheid gesagt? Du wirst doch nicht einfach…«
»Es ist nicht, wie du denkst, Paul«, wehrte Peter ab. »Er ist immerhin mein Bruder und…«
»Das klang gestern aber noch ganz anders«, unterbrach ihn Paul rüde und frotzelte: »Welcher Hirte hat denn den Wolf zum Schaf gemacht?«
Peter überging den Spott und fuhr fort: »Ich habe gestern noch mit Prior Konrad gesprochen…«
»Sag’ ich’s doch!« warf Paul selbstgefällig ein. »Ein Pfaff hat ihm die Zähne gezogen.«
»Jetzt hör schon auf!« protestierte Peter unwirsch. Eines Tages, nahm er sich zum
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