Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
Vom Netzwerk:
habe sie eingesperrt oder in ein Kloster gesteckt.«
    »Man sagt viel«, maulte Peter.
    »Es heißt sogar«, fuhr Agnes unbeirrt fort, »daß einer von euch jungen Hitzköpfen sie angestochen und ihr einen Balg in den Leib gesetzt hat. Glaubst du vielleicht, ich will durch dich zum Gespött der Klatschweiber und Eckentuschler werden?«
    »Eiei, Frau Agnes als Tugendwächterin, wo sie doch selber unreifen Knaben den Kopf verdreht.« Ein Kahlkopf lugte grinsend, aber noch in sicherer Deckung, hinter der Küchentür hervor.
    »Du hast gerade noch gefehlt«, wetterte die zornige Wirtin. »Raus! Schert euch raus! Alle beide!«
    Peter war es höchst willkommen, sich dem Toben der Agnes zu entziehen. Aber der Schrecken stand ihm noch ins Gesicht geschrieben, so daß Paul ihn lachend beim Hinausgehen tröstete: »Mach dir nichts draus! Wo viel Eifern, da viel Lieb. Das gibt sich wieder.«
    Während der folgenden Woche war überall in der Stadt eine auffällige Geschäftigkeit zu spüren. Die Hauptleute der einzelnen Viertel und ihre Stellvertreter ließen probeweise die Sturmglocke läuten, und die ganzen Tage über zogen lärmende Gruppen mit Armbrüsten zu den Zielstätten vor der Stadt, um ihre Treffsicherheit zu üben. Meister Witbold, der Stadtzimmermeister und August Ziffer, der Stadtmaurer begingen prüfend die Wehranlagen und scheuchten ihre Knechte und Gesellen, um nötige Reparaturen und Verbesserungen vorzunehmen. Ein Vorrat an Brettern und Balken zum raschen Ausbessern zerschossener oder verbrannter Wehrgänge wurde entlang der Mauer verteilt. Alles störende und leicht brennbare Bauwerk innerhalb eines breiten Sicherheitsstreifens hinter dem Mauerring wurde niedergerissen. Burschen häuften mächtige Steine, die als Wurfgeschosse dienen sollten. Die Zimmerer stellten die langen Haken zum Abstoßen der Sturmleitern oder zum Auseinanderreißen brennender Strohdächer bereit. An die Schäffler erging vom Rat der Auftrag, zusätzliche Fässer und Bottiche zu fertigen, um überall in der Stadt Wasservorräte zum Löschen aufzustellen. Aus Schwertern und Spießen wurde der Rost geschliffen, und das Hämmern und Dengeln der Waffen-und Kleinschmiede in der Kaufingergasse und anderswo klang jetzt oft bis weit in die Nacht hinein. Taglöhner wurden abgestellt, um von den Wiesen im Umfeld der Stadt ausreichend Heuvorräte einzufahren. Und es schien beinahe so, daß selbst noch die Bettler sich angesichts der erwarteten Notzeiten einen Vorrat an Almosen anzulegen trachteten. Die ganze Stadt bereitete sich auf den Belagerungszustand vor.
    Der Münchner Rat schickte eifrig Boten nach allen Richtungen aus, teils um sich der Treue und Zuverlässigkeit verbündeter Städte und Kriegsherren zu versichern, teils um den tatsächlichen Stand des feindlichen Aufmarsches auszuspähen. An den vier Hauptzugängen zur Stadt wurden die Wachen verdoppelt, die Nebentore wurden, wie in unsteten Krisenzeiten üblich, gleich ganz geschlossen gehalten. Die Vorsichtsmaßnahme hatte allerdings auch mit dem bevorstehenden Jahrmarkt um Jakobi zu tun, denn es waren beileibe nicht nur ehrenwerte Kaufleute, die in die Stadt drängten, sondern auch allerhand zwielichtiges Gesindel. Die Großen der Stadt hatten zuvor beratschlagt, ob angesichts der bedrohlichen Umstände der Jahrmarkt in diesem Jahr überhaupt stattfinden dürfe. Doch die Bedenken währten nicht lange, und das kaufmännische Interesse obsiegte. Schließlich war es der einzige Jahrmarkt der Stadt, bei dem fremde Großkaufleute und Händler ungehemmt zugelassen wurden.
    So geschäftig, wie ihm einerseits die Stadt ringsum erschien, so träge kam Peter sich andererseits selbst vor. Es wollte nichts so recht vorwärtsgehen, und er fühlte sich wie gelähmt. Was sollte er auch tun? Zu deutlich klang ihm noch das Verbot des Richters in den Ohren, daß er gefälligst nichts mehr auf eigene Faust unternehmen solle. Agnes hatte sich zwar inzwischen beruhigt und teilte mit ihm wieder sanftmütig das Lager, aber der jugendliche Schwärmer wollte es noch immer nicht so recht fassen, daß der greise Kaufmann diese frische Knospe gepflückt oder sollte er sagen: gekauft hatte. Oder hatte am Ende gar sie den Pfeffersack erwählt? Vielleicht wegen seines Reichtums oder – zum Teufel! Was ging’s ihn an.
    Der Rat hatte in seiner letzten Sitzung einen neuen Pfleger als Nachfolger des verblichenen Peitinger ernannt. Franz Abel, vordem selber erfahrener Floßmann, war ein umgänglicher Mann in mittleren

Weitere Kostenlose Bücher