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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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schwankte, die Gelegenheit, den Ankommenden ins Gewissen zu reden.
    »Ich bin die Stimme des Propheten, der Ru… der Rufer in der Wüste! Und habe ich euch – hicks – nicht gewarnt, hihi: Dies ist der Tag, an dem der Teufel aus dem Himmel gesto… gestochert wurde. Er ist mipfen unter uns.«
    Seltsamerweise lachte diesmal kaum jemand über den Eiferer. Die Umstehenden schienen vielmehr ergriffen, und einige schlugen sich sogar an die Brust. Dafür fing Gottschalk immer häufiger zu kichern an. Er war sturzbetrunken. »Der Leonstier der Isar… der Isarhart… hihi… das Flößertier, das garstige…«
    Peter, der sich angewidert an Gottschalk vorbeigeschlichen hatte, stutzte plötzlich. Er hörte etwas platschen, und der Pfaffe war auf einmal gurgelnd verstummt. Peter wandte sich um und blickte in das zufrieden grinsende Gesicht von Paul, der mit den Achseln zuckte und unschuldig von sich gab: »Predigen kann er ja, der Gottschalk. Aber auf dem Wasser laufen, das muß er noch lernen.«
    Und rückwärts gewandt brüllte er scheinheilig: »Holt ihn doch raus! So holt ihn doch endlich heraus, den armen Kerl!«
    Viele waren während dieser Nacht kaum mehr zur Ruhe gekommen. Doch wer nun glaubte, daß die Stadt deshalb am darauffolgenden Morgen nur zögernd erwachte, der erfuhr sogleich, daß mit Tagesanbruch die schaurige Neuigkeit schon wieder das Gespräch in den Hütten und Häusern, auf den Gassen und Märkten bestimmte. Und das Schlimme daran war, daß die Geschichte nicht mehr nur eine Handvoll ungehobelter Gesellen weit draußen an der Isar zu betreffen schien. Es war, als habe über Nacht eine schreckliche Gefahr die ganze Stadt in den Würgegriff genommen. Kaum einer glaubte mehr an das Gerücht vom Wiedergänger. Es war ein Fluch, der über der Stadt hing. Viele hatten noch den schrecklichen Ausruf des Jakob nach seiner Verurteilung im Ohr. Immerhin war Ludwig Pütrich, der Sohn des alten Geizkragen, fast einem Anschlag zum Opfer gefallen. Aber abgesehen davon erfreuten sich die Pütrichs bester Gesundheit, während Jakob, Peitinger und zuletzt Leonhart ins Gras gebissen hatten – zwei Flößer und ein Ländpfleger. Einerseits schien sich die unheimliche Mordserie ganz eindeutig auf das Umfeld der Lände zu konzentrieren, sowohl was die Opfer als auch was die Tatorte anging. Doch andererseits bestand nun der schreckliche Verdacht, ja die Gewißheit, daß Zauberei im Spiel war. Und das ging alle an.
    Jedermann wußte, daß Myriaden von Dämonen allüberall gegenwärtig waren und daß sie selbst in der Atemluft herumgeisterten. Die Kirchenväter und geistlichen Autoritäten hatten dies so kundgetan, und die Pfaffen hatten es jahrhundertelang ihren furchtsamen Schäfchen landauf, landab eingetrichtert. Aber man hatte auch gelernt, mit ihnen auszukommen, und wer nur mit Hilfe der Kirche und reichlicher Gabe von Almosen auf dem Pfad der Tugend blieb, dessen Seele war nicht gefährdet.
    Anders verhielt es sich mit Zauberei. Unholde riefen mit abscheulichen Ritualen Geister und Dämonen herbei, zwangen diese mit heiligen Worten und magischen Formeln, ihnen zu Willen zu sein und richteten auf diese Weise schrecklichen Schaden an. Niemand war davor gefeit, und so verbreiteten sich Mißstimmung, Argwohn und quälende Furcht. Der neidische Nachbar konnte es sein, der einen mit Flüchen beschriebenen Zettel unter die Türschwelle schob. Hatte nicht seine Alte in letzter Zeit einen seltsam stechenden Blick? Und war es nicht merkwürdig, daß das junge, kräftige Paar von nebenan noch immer ohne Nachwuchs blieb? War sein Schwengel verhext, weil er unerlaubt hurte, oder ihr Leib unfruchtbar, weil sie sich mit zwielichtigen Kräuterweibern eingelassen hatte?
    Das Geschäft mit zweifelhaften Amuletten und mit schützenden Bibelversen, die in einer Kapsel um den Hals getragen wurden, blühte.
    Dagegen blieb es an der Lände an diesem Morgen merkwürdig ruhig. Vielleicht war es besser, den Umgang mit diesen rauhen Burschen vorerst zu meiden. So hatten die Floßleute ungewollt reichlich Zeit, um sich beim Richter einzufinden, und mancher genoß es gar wie eine Abwechslung. Sie hatten ja ein reines Gewissen. Aber wirklich alle?
    Die Knechte des Richters hatten noch während der Nacht alle Beteiligten ausgiebig befragt, und Konrad Diener überprüfte jetzt nur die Aussagen, bohrte nach oder stellte richtig. Aber insgesamt blieb das Verhör unergiebig. Keiner verwickelte sich in Widersprüche, niemand schien verdächtig oder

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