Der Wachsmann
hatte ein wie immer geartetes Motiv, und beinahe jeder konnte für einen anderen bürgen. So entließ der Richter die Flößer bald wieder. Einige von ihnen wollten ihrerseits die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, um sich zu erkundigen, ob der Schuster schon gestanden habe.
Da aber wurde der Richter unwirsch und fauchte sie an: »Das geht Euch nichts an! Und außerdem hat der Füss eine gute Erklärung.«
»Die möchte ich hören«, raunte Paul dem Peter zu.
Der Richter versäumte es nicht, die Flößer noch einmal eindringlich davor zu warnen, sich in blinder Wut am Schuster zu vergreifen. Dann ließ er sie vom Gerichtsdiener hinausschaffen.
Peter und Paul blieben auf Dieners Geheiß zurück.
»Ich habe Eure Bemerkung nicht überhört, Herr Knoll«, eröffnete er das Gespräch. »Aber ich kann selbst Euch gegenüber die Erklärung des Schusters nicht wiederholen, denn ich habe mein Wort gegeben zu schweigen, um eine gewisse Person nicht in Verruf zu bringen.«
Die beiden Freunde schauten sich fragend an. Mit welcher Person pflegte ein einfacher und noch dazu weitgehend unbeliebter Schuster Umgang, die so hochgestellt war, daß ihr Name nicht genannt werden durfte? Wäre es einer von ihnen, würde der Richter bestimmt nicht viel Federlesens machen. Er wies sie an, Platz zu nehmen und bot sogar trotz der frühen Stunde Wein an.
»Gehen wir doch einmal vom Nächstliegenden aus«, schlug Konrad Diener vor, der ganz offensichtlich gewillt schien, die Vorkommnisse mit den beiden zu diskutieren. »Irgend jemand hatte mit diesem Leonhart eine Rechnung zu begleichen. Also fragen wir uns: Wer? Da drängt sich zunächst der Schuster auf, der aber aus bestimmten Gründen, die ich nicht nennen kann, nicht in Frage kommt. Nun kannte ich den ermordeten Flößer nicht gut genug und frage daher Euch: An wen denkt Ihr?«
Paul zuckte spontan mit den Schultern. »Mir fällt hierzu keiner ein. Leonhart war ein Großmaul und Raufbold. Aber er schlug sich und vertrug sich. Ich glaube, keiner war ihm lange feind.«
»Ich seh’s genauso«, pflichtete Peter bei. »Aber ich glaube, daß dem Leonhart seine Prahlerei zum Verhängnis wurde. Im Gefängnis hat er noch beteuert, daß er an dem Abend vor Peitingers Tod sturzbetrunken gewesen sei und weder etwas Außergewöhnliches gehört noch gesehen habe. Gestern im Streit hat er plötzlich getönt, er wisse ja vielleicht doch etwas, und der Mörder möge sich vorsehen.«
»Aber das heißt auch, daß der Mörder in der Gaststube zugegen gewesen sein muß, als Leonhart sich großspurig gab«, ergänzte der Richter die Schlußfolgerung. »Doch was habt Ihr mit dem Pergament angestellt? Vielleicht hilft es uns ja diesmal weiter?«
Peter war schon zur Laudes zum Kloster der Augustiner geeilt, und Prior Konrad hatte ihn nach dem Stundengebet bereitwillig empfangen, die Stelle im Psalter ausfindig gemacht und den Text mit ihm diskutiert. Es handelte sich um einen Ausriß des achtundsechzigsten Psalms.
Peter hatte dankenswerterweise auch eine Abschrift der Übersetzung erhalten, die er Paul und dem Richter nun vortrug:
Du kennst meine Beschimpfung und meine Schandeund meine Beschämung.Vor deinem Angesichte sind alle, die mich bedrängen.Mein Herz ist gewärtig der Schmach und des Elends.Ich wartete, ob jemand Mitleid hatte, und es fand sich keiner;ob einer Trost spendete, und ich fand keinen.Sie gaben mir Galle zur Speise; und in meinem Durstetränkten sie mich mit Essig.Möge ihr Tisch vor ihnen zum Fallstrick werden,und zur Vergeltung und zum Verderben!Ihre Augen mögen dunkel werden, daß sie nicht sehen;und ihre Rücken beuge immerdar! Der letzte Vers verfehlte nicht seine Wirkung. Denn erst nach Augenblicken düsteren Schweigens löste sich bei Konrad Diener die Beklemmung.
»Der Mörder muß ein grausiger Witzbold oder ein Verrückter sein. Bei allen drei Morden wiederholt der Text die jeweilige Todesart. Langsam fange ich auch an zu glauben, daß irgendein teuflisches System dahintersteckt. Fragt sich nur welches?«
»Hm.« Paul schüttelte ungläubig den Kopf. »Vielleicht liegt auch gar kein tieferer Sinn darin, und man will uns das nur glauben machen. Nehmen wir doch einmal an, der Jakob wurde umgebracht, weil er etwas wußte, sei es im Zusammenhang mit den Überfällen, sei es sonstwie. Sein Tod wird dann einfach als Selbstmord getarnt. Und nun hat der Peitinger davon gewußt, und er fängt an zu plaudern, oder versucht den Mörder zu erpressen. Der Mörder bringt
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