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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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es dennoch schaffte hinauszuwischen, wurde mit grausigem Entsetzen belohnt. Der tote Leonhart lag halb aufgerichtet am Fuße der Brücke über den Laimbach. Auf Wangen und Gewand hatte das Blut inzwischen dunkle, klebrige Krusten gebildet. Im bizarren Licht der züngelnden Fackeln erschien das Gesicht wie eine schaurige Fratze, um deren leere Augenhöhlen sich bereits Scharen von Fliegen versammelten.
    Hätte dieser Anblick für sich schon genügt, den Gaffern das Blut in den Adern stocken zu lassen, so schien mit einem Mal irgend etwas noch weitaus größeres Entsetzen hervorzurufen. Die Aufmerksamkeit war zunächst ausschließlich auf den gräßlich verstümmelten Leichnam gerichtet gewesen, bis jemand kreischte: »Seht nur, dort! Ein Geist!«
    Einen Augenblick lang war gar nichts zu sehen, als die Männer herumfuhren und dabei die Lichtkegel der Fackeln wild durcheinander tanzten. Erst als sie diese wieder ruhig hielten und dem Fingerzeig des kreidebleichen Rufers folgten, konnte ein jeder die seltsame Erscheinung sehen. Im Geäst eines nahen Busches hing ein fahlgelbes Männlein, einen guten Schuh groß und mit seltsam hervorstehenden Augen. Es bewegte sich leicht im schwachen Wind, und es schien fast so, als winkte es.
    »Das ist ein Werk des Teufels«, raunte einer mit zittriger Stimme, und die Menge wich angsterfüllt zurück. Männer und Frauen bekreuzigten sich.
    »Er ist verflucht… weh uns… flieht vor diesem Ort!«
    So hastig wie sie nach draußen gedrängt hatten, so wild stoben sie jetzt auseinander und rannten schreiend und gestikulierend zurück in den vermeintlichen Schutz der Stadt.
    »Der Teufel ist unter uns… zu Hilf… tut Buße!«
    Einige rannten geradewegs nach Hause, um die Familie um die geweihte Kerze zu versammeln und zu beten. Andere hämmerten in Panik an die Pforten der Kirchen und Klöster, um den Beistand jener zu fordern, die von Berufs wegen zum Umgang mit den Mächten der Finsternis berufen waren.
    Peter und Paul waren ziemlich gleichzeitig mit der Obrigkeit am Ort des Grauens eingetroffen. Sogar einige der Ratsherren hatten sich hinausbequemt, und mancher nützte die Gelegenheit zu markigen Worten. Der Spuk müsse endlich aufhören. Ein exemplum sei dringend vonnöten. Und man hoffe doch sehr, daß die Schuldigen jetzt endlich gefunden und zur Rechenschaft gezogen würden. Die Laune des Richters wurde dadurch um keinen Deut besser. Nicht genug damit, daß er den dritten Mord innerhalb weniger Wochen hinnehmen mußte und dabei nicht den Hauch einer erfolgversprechenden Spur hatte. Jetzt wurden auch die hohen Herren zunehmend unwillig und fordernd, und zudem schien die verteufelte Geschichte durch ein kleines Männlein nun auch noch eine völlig unerwartete Dimension zu bekommen.
    »Verdammt und dreimal ausgespuckt!« knurrte Konrad Diener. »Das hier ist Schadenzauber und Schwarzmagie.«
    Er selbst war wenig abergläubisch und forderte einen seiner Knechte auf, ihm das vermeintliche Gespenst zu bringen. Da sich der Scherge schlotternd und zähneklappernd nicht von der Stelle rührte, holte sich der Richter eigenhändig und fluchend das seltsame Ding. Es war eine menschlich aussehende Figur, einer Puppe ähnelnd. Obwohl grob aus graugelbem Wachs geformt, waren doch Gesicht und Gliedmaßen genau zu erkennen. Der angedeutete und leicht nach oben gezogene Mund schien gar ein Grinsen auszudrücken, was angesichts der Umstände reichlich makaber war. Noch weitaus befremdlicher aber waren zwei große, rostige Nägel, die an der Stelle der Augen im Kopf steckten. Ein dritter war in der Gegend des Herzens hineingerammt. Der Richter hatte so etwas noch nie gesehen, aber er hatte davon gehört und wußte, daß es sich um einen Atzmann handelte. Menschen oder Abgesandte des Teufels, die sich der Zauberei verschrieben hatten, formten diese Puppen und belegten sie mit einem Fluch. Der arme Kerl, dem die Verwünschung zugedacht war, sollte daraufhin elend und unter Schmerzen krepieren.
    Der offensichtliche Zusammenhang zwischen Puppe und Mord ließ selbst den Richter, der wahrlich schon genug Scheußlichkeiten gesehen hatte, erschauern.
    »Ich will verdammt sein«, murmelte er, »wenn die Kreatur, die dies verbrochen hat, noch menschliche Züge trägt.«
    »Vielleicht kennt Ihr sie schon?« stichelte Alois, der in unmittelbarer Nähe des Richters stand.
    Konrad Diener warf ihm einen geringschätzigen Blick zu.
    »Wie meint Ihr das?« fragte er gereizt, während er das wächserne Männlein

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