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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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immer ich zuständig. Ich will die Bestie am Galgen sehen. Eher ist keine Ruh. Darauf geb’ ich Euch mein Wort.«
    Pütrich unterdrückte mühsam seinen Ärger und fragte hochnäsig: »Habt Ihr etwa gar schon eine Spur oder einen winzigen Beweis für Euer nobles Vorhaben?«
    Konrad Diener hätte ihm augenblicklich nur Galle vor die Füße spucken können. Einen Beweis mußte er schuldig bleiben.
    »Was haltet Ihr hiervon?« schaltete sich Peter unvermittelt ein, zog das Pergament unter Leonharts Gürtel hervor und hielt es dem Kaufmann keck unter die Nase.
    »Laßt mich in Ruhe! Was wollt Ihr?« schimpfte der Alte und fuhr gleichzeitig den Richter an: »Könnt Ihr mir nicht endlich diese beiden Quälgeister vom Hals halten? Ich bin Ratsherr dieser Stadt und muß mir das nicht bieten lassen!«
    Der Richter war hin-und hergerissen zwischen heimlicher Freude und Sorge um seine Autorität. Er entschied sich für seinen Ruf und wies Peter zurecht: »Gebt her und haltet Euch zurück!« Er überflog die wenigen lateinischen Verse und hätte Stein und Bein geschworen, daß es sich wieder um so einen verfluchten Psalm handelte.
    »Man sagt, Ihr geht eifrig zur Messe«, bemerkte er daraufhin spitz zum alten Pütrich und hielt ihm nun seinerseits den Zettel hin. »Vielleicht mögt Ihr uns sagen, was das ist?«
    Der Kaufmann zierte sich, als müsse er glühende Kohlen anfassen und fragte verschreckt: »Wieso ich? Was habe ich damit zu tun? Was wollt Ihr von mir?«
    »Ich dachte nur«, erklärte der Richter mit Unschuldsmiene, »Ihr könntet mir vielleicht ein wenig behilflich sein bei meiner schweren Arbeit. Nun gut« – er gab seinen Knechten einen Wink –, »dann werdet Ihr mich wohl entschuldigen.« Er ließ den Kaufmann einfach stehen und wandte sich wieder der Leiche zu.
    »Sucht dort, wo Zauberei und schändliche Bräuche zu Hause sind!« zischte Heinrich Pütrich.
    »Ich weiß nicht, was Ihr meint«, tat ihn der Richter ab. »Ihr sprecht in Rätseln.«
    »Der Jud wird’s schon wissen!« orakelte der Kaufmann vieldeutig, raffte zähneknirschend seinen Mantel und rauschte wütend in Richtung Stadt davon.
    Der Richter schob grob den Bader zur Seite, der sich inzwischen an der Leiche zu schaffen gemacht hatte. »Verschont mich mit Euren Weisheiten und wenn Ihr behaupten wollt, der Bursche sei blind gewesen, dann laß ich Euch in den Stock sperren!«
    Jobst Türlin, der wie eine vergrößerte Ausgabe des Wachsmännleins wirkte, ließ sich durch die Grobheit des Richters nicht beeindrucken und verkündete unbeirrt seine Diagnose: »Die Brust wurde mittels eines spitzen Gegenstandes geöffnet, was durch Verlust der Körpersäfte zum Tode führte. Und ich gebe zu bedenken, daß selbiger Gegenstand auch den Verlust des Augenlichts bewirkt haben mag.«
    »Aha«, brummte der Richter. Mehr war ihm die Feststellung des Baders nicht wert. Aber er besah sich noch einmal die Wunde über dem Herzen ganz genau. Es war fast kein Einstich zu sehen.
    »Merkwürdig«, murmelte er vor sich hin, »ein solch schmaler Dolch ist mir noch nicht untergekommen.«
    »Wenn’s denn einer war.« Peter und Paul waren unaufgefordert näher getreten und besahen sich ebenfalls die Wunde.
    »Vielleicht war’s ein Handwerkszeug«, bot Paul als Erklärung an. »Eine Ahle zum Beispiel.«
    Der Richter stutzte einen Augenblick und erhob sich dann abrupt. »Wir werden ja sehen.«
    Ein Knecht hatte inzwischen einen Leiterwagen besorgt und Konrad Diener gab Anweisung, die Leiche aufzuladen. Die Floßleute brachten sie zum Haus des Zunftmeisters, wo er von den Frauen gewaschen und hergerichtet und danach ehrenvoll aufgebahrt wurde.
    Peter wandte sich noch einmal an den Richter, der inzwischen etwas milder gestimmt schien. »Würde es Euch etwas ausmachen, mir den Text bis morgen zu überlassen?«
    »Hmm.« Konrad Diener überlegte nicht länge. »Warum nicht? Ihr kennt Euch ja inzwischen aus mit frommen Schriften.« Er grinste. »Bis morgen also, meine Herren.« Er ließ sich von einem seiner Knechte dessen Pferd geben und ritt in die Stadt zurück.
    Die beiden Freunde schlenderten zu Fuß zurück, nachdenklich und wortkarg. Ein jeder war noch zu sehr mit dem Unfaßbaren beschäftigt. Auch die hartgesottensten Gaffer waren längst wieder in die Stadt geeilt, um dort den Zurückgebliebenen in grellen Farben das grausige Erlebnis auszumalen. Auf der Brücke vor dem Kaltenbachtor schien es einen kleinen Tumult zu geben. Dort nützte Gottschalk, der bedenklich

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