Der Wachsmann
unvermittelt die Hand des Caspar und drückte sie so fest, daß einem Stein noch Wasser entwichen wäre. Und in sanftestem Tonfall beendete er seine Geschichte: »Und so starb der Lügner noch am gleichen Ort, sei es nun aus Schreck oder weil er nicht mehr davon loskam. Im Volk aber hält sich seither die kluge Gewohnheit, daß man in schwierigen Fällen bei den Gebeinen des heiligen Pankraz schwören läßt. Na, wie gefällt dir diese Geschichte?«
Caspar Nickel war in die Knie gegangen, versuchte vergeblich, mit der anderen Hand Pauls eisernen Griff zu lösen und winselte zum Erbarmen. Paul tat so, als schließe er daraus auf Zustimmung.
»Dachte ich’s mir doch. Und weil du klug bist, weißt du sicher auch, was dir der Heilige damit sagen will.«
Caspar nickte geflissentlich. Er hätte in diesem Augenblick auch seine Seele verkauft, um loszukommen.
Als Peter und Paul zu später Stunde aus der Wirtsstube traten, bot der Himmel ein eigenartiges Schauspiel. Vom Westen her schoben sich düstere, hagelschwere Wolken vor, deren unteren Rand die versinkende Sonne in grelle Farben tauchte. Bald erglühten sie in flammendem Rot, bald leuchteten sie gelbgrün wie giftiger Schwefel. Und schon zerrissen erste Blitze wie vielzackige Speere das finstere Wolkengebräu, gefolgt von rollendem Donnerschlag. Es war gespenstisch.
»Das bringt nichts Gutes«, argwöhnte denn auch Peter und ertappte sich dabei, wie er selbst an drohende Vorzeichen glaubte.
Sie beeilten sich, um noch vor dem ersten Guß zu Hause zu sein. Unterwegs erklärte Paul unvermittelt: »Der alte Pütrich war’s.«
»Wie?«
»Na, mit dem Gerücht, du weißt schon.«
»Du meinst, der Pütrich hat den Nickel…«
Peter blieb abrupt stehen und faßte Paul am Arm. »Woher willst du das wissen?«
»Das Schwatzmaul hat’s mir aufgedrängt.«
»Ach, einfach so? Mir gegenüber spielt er den Gernegroß und dir erzählt er unbedenklich sein Geheimnis?« Peter wurde im nachhinein noch wütend und bereute, daß er dem Nickel nicht mit der Faust das Maul gestopft hatte.
»Nun, ganz so einfach war’s auch wieder nicht«, bekannte Paul schmunzelnd. »Ich mußte ihm dafür eine Geschichte erzählen.«
»Eine Geschichte?« Peters Stimme kreischte fast. »Willst du mich auch noch zum Narren machen?«
»Nein, wirklich, ganz im Ernst. Die Geschichte vom heiligen Pankratius.«
»Häh?«
»Du kennst sie auch nicht? Das ist schade.« Paul schob die Unterlippe vor, als ob er schmollte.
»Ich kenn’ nur die üblen Streiche eines Pankraz Knoll«, grummelte Peter im Weitergehen, »und der erscheint mir so wenig heilig, wie dies Gewitter friedvoll.«
Die Blitze umzuckten sie bereits von allen Seiten. Der immer rascher folgende Donner übertönte für bange Augenblicke die Sturmglocken. Wind kam auf, böig und beißend, Wolken von Staub vor sich herblasend. Die letzten Straßengänger hasteten nach Hause, Bettler und Sieche krochen in den nächstliegenden schützenden Verschlag, Frauen kramten die Wetterkerzen hervor und schrien angsterfüllt die Familie zur großen Fürbitt zusammen.
Peter schoß plötzlich durch den Kopf, wie abrupt doch der Nickel das Wirtshaus verlassen hatte. Erneut hielt er an und faßte seinen Begleiter am Ärmel.
»Eine Geschichte? Bloß eine Geschichte? Ich kenn’ dich doch, nun sag schon, womit du ihm gedroht hast!« Peter schien jetzt richtig erbost.
»Na gut! Ich hab’ ihn ein wenig an Kittel und Arm gepackt, und da hat er beinahe von selbst den Namen genannt. Und da hab’ ich ihm erklärt, daß das von dem Pütrich alles erstunken und erlogen ist. Und daß er, wenn ich ihn noch einmal mit so einer Lügengeschichte erwische, zahnlos seinen Brei schlürfen wird. Und dann hab’ ich noch ein bißchen gedroht, daß man ihn eines Tags vielleicht blutleer und mit durchschnittener Kehle finden könnt’, wenn einer seine Greuelmär wahrgemacht und sein Blut den Juden verkauft hat.«
»Bist du verrückt? Mußtest du dem Nickel wirklich so unverschämt drohen?«
»Das ist die einzige Sprache, die er wirklich versteht«, beteuerte Paul. »Willst du vielleicht, daß der Verleumder noch länger krakeelt und die ganze Stadt aufhetzt bis es zum Gemetzel kommt? Dann frag’ ich mich, warum du dich zuvor so ereifert hast.«
»Natürlich nicht!« versicherte Peter. »Aber du hättest vorsichtiger sein müssen. Du weißt gar nicht, wie sehr uns der Kerl noch schaden kann.«
»Wieso?« Jetzt verstand Paul die Welt nicht mehr. »Was kann der uns
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