Der Wachsmann
vorgedrungen ist, in pervertierter Weise von sich gibt.«
Isaaks ohnehin faltige Stirn wirkte wie ein zerfurchter Acker. Zum ersten Mal sah Peter wahrhaftigen Zorn im Antlitz des Greises.
»Ich will nicht verhehlen«, fuhr er fort, »daß es auch in meinem Volk Verblendete gibt, die sich von magischen Manipulationen höchstes Wissen und grenzenlose Macht erhoffen. Aber die geheiligte Bestimmung der Kabbala ist es noch immer, die Wahrheiten und den Schöpfungsplan zu ergründen, die uns der Ewige und Einzige in den Büchern Mose verschlüsselt offenbart hat, um damit Ihn zu erkennen und zu preisen.
Was aber nun das Geheimnis der Zahl Neunzehn betrifft, so zeigt dies gerade den groben Unsinn, den dieser angebliche Kenner der schwierigen Materie ausgebrütet hat, denn Neunzehn ist die Zahl des großen Mondzyklus und somit Glückszahl. Und nach kabbalistischer Auffassung ist sie keineswegs mit dem Tod verbunden, im Gegenteil, denn der Zahlenwert des Namens Eva, der ja Mutter der Lebenden bedeutet, beträgt exakt Neunzehn.«
Paul witterte seine Chance und fragte rasch: »Was, verehrter Meister, vermag uns denn die Kabbala zur Zahl Fünf zu sagen?«
Der alte Isaak zog die buschigen Brauen hoch, so daß sich die Falten über der Nasenwurzel tief eingruben, und strich sich nachdenklich durch den Bart. »Ich weiß nicht«, begann er nach einer Weile Schweigen, »was Euch zu dieser Frage bewog; ich weiß nur, daß ich es Euch sehr wahrscheinlich kaum vermitteln kann, denn es geht um mystische Geheimnisse von Schöpfung und Erlösung. Vielleicht nur dies: Zehn Zahlen, die Sephiroth, symbolisieren Emanationen, das heißt Ausflüsse von der ersten Ursache, die wir Gott nennen. Sie sind daher auch Eigenschaften oder Aspekte von Ihm, und wie Er durch sie in der Welt wirkt, so ist auch der Mensch in seinem Inneren durch sie geprägt. Die Zahl Fünf repräsentiert dabei Stärke, aber auch die Kräfte der Zerstörung. Dies klingt erschreckender, als es ist, denn auch der Baderchirurg muß in das brandige Fleisch schneiden, um zu heilen.
Wir nennen sie daher besser die Kraft, die Veränderung bewirkt. Nur wo Zerstörung zum Selbstzweck wird, da wird sie ausschließlich böse: Töten um des Tötens willen, Rache um der Rachsucht willen. Es bedarf daher des mäßigenden Ausgleichs, damit jene, die die Kraft in sich tragen und ihre Ziele als die einzig wahren anerkennen, nicht zu mörderischen Sektierern oder blinden Rächern entarten. Doch nicht Schlagetot und Haudrauf sind die gemeinsten Mörder, sondern die scheinbar harmlosen, stets nachgiebigen und ach so gutmütigen Mitmenschen. Sie scheuen Auseinandersetzungen, laufen rückwärts durchs Leben wie der Krebs und packen irgendwann die tödlichen Scheren aus. Der ewige Dulder wird zur reißenden Bestie. Vor ihm müßt Ihr Euch vorsehen! Doch nun spannt um der Barmherzigkeit willen einen neugierigen Alten nicht länger auf die Folter und sagt mir: Wie kommt Ihr darauf? Hat es mit den jüngsten Morden zu tun?«
Isaaks Augen flackerten unruhig, als wolle er sich gleich selbst bei der Suche beteiligen.
»Ihr wißt, was ein Atzmann ist?« fragte Peter mehr rhetorisch.
»Wie sollte ich es nicht wissen«, erwiderte der Jude schnaubend, »wo solch Unding zu den stets wiederkehrenden Vorwürfen zählt.«
»Neben der Leiche des letzten Opfers hing ein solches Monstrum im Geäst. Es war von drei Nägeln durchbohrt, wies aber noch zwei andere Löcher auf, so daß wir auf eine ursprüngliche Fünfzahl an Nägeln schlossen und bis heute über die Bedeutung rätseln.«
»Starb der Tote qualvoll in einer Weise, wie es der Atzmann verdeutlicht?«
»Möglicherweise. Augen und Herz waren durchstochen, und bei der Puppe steckten ebendort die Nägel. Aber was hat es mit den anderen Löchern auf sich?«
»An welcher Stelle befinden sich die Einstiche?« fragte Isaak interessiert.
»In Höhe der Lenden«, erklärte Peter rasch, bevor Paul wieder zu einer sehr bildlichen Darstellung anheben konnte.
»Merkwürdig«, sinnierte der alte Jude. »Lassen wir doch einfach mal die Vorstellung beiseite, daß dieser Wachsmann ausschließlich den Tod bringen sollte. In alten Zeiten diente er auch häufig dem Liebeszauber, sei es, um sich den Auserwählten oder auch das weibliche Objekt der Begierde gefügig und hörig zu machen, sei es, um einem von beiden die Lust, das Verlangen oder die Kraft zu rauben.«
»Aber was hätte dies mit den Augen zu tun?« fragte Paul unschuldig, wiewohl er recht gut um den
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