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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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dem Schweif daran gebunden sei, die Pflanze aus der Erde ziehen könne, die darob solch markerschütterndes Geschrei anstimme, daß der Hund tot umfalle. Und solches widerfahre jedem Gräber, der sich die Ohren nicht mit Wachs verstopfe. Sie ist schon deshalb selten und kostbar, und wer sie schließlich erworben hat, der wird sie in Seide hüllen und hegen und pflegen. Den Ägyptern diente sie bereits bei magischen Liebes-und Fruchtbarkeitsriten, und Rachel verlangte nach ihr, um für Jakob fruchtbar zu sein. Wer sie im Haus hält, erlangt Reichtum und Ehren und man sagt, daß sie selbst Wissen über die Zukunft verleihe. Sie wirkt als Schlaftrunk und ist gut gegen Schmerzen, vermag die Stimmung zu erhellen, aber auch wilde Träume hervorzurufen. Männer, zumal unter der Last der Jahre, schätzen sie als Liebeskraut im Dienste der Aphrodite, während eure heilige Hildegard geradewegs das Gegenteil behauptet und sie bei übersteigertem Trieb empfiehlt. Für sie wohnen der Wurzel dämonische Kräfte inne und vielleicht…« beschloß Isaak seine Erläuterung schmunzelnd, »gedenkt sie dadurch den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Doch sagt: Vermutet Ihr da etwa einen Zusammenhang zwischen Wachsmann und Alraune?«
    »Hm. Ich weiß nicht«, erwiderte Peter. »Ich muß gestehen, der Gedanke ist noch ziemlich neu. Nehmen wir an, es verhielte sich so. Ihr legtet dar, daß der Atzmann womöglich fleischliches Wollen und sexuelle Kraft vernichten solle und führtet zuletzt aus, daß die Alraune umgekehrt der Stärkung der Potenz dient. Das eine ist die Rezeptur einer Heiligen, das andere Zauberei. Wie fügt sich das?«
    Der alte Jude zuckte mit den Schultern, als sehe er darin keinen Widerspruch, während Peter mit dem Kopf schüttelte. Er brauchte Zeit, um darüber nachzudenken. Aber seinen Traum, den wollte er nicht unbesprochen lassen, und er bat: »Meister Isaak, wir haben Eure Zeit schon ungebührlich in Anspruch genommen. Ich hatte aber letzte Nacht einen scheußlichen Traum, der mich ängstigt. Wollt Ihr so gut sein und ihn anhören?«
    Isaak breitete ergeben die Hände aus, worauf Peter sofort lossprudelte und die Schrecken der vergangenen Nacht sowie seine Befürchtungen schilderte. Der Jude lauschte erst geduldig und antwortete dann darauf: »In Eurem Traum ist viel Streit und Gemetzel zwischen allerlei Getier, und die Tiere mögen dabei für Menschen stehen. Doch einer scheint stets zu obsiegen, und am Ende schwingt er sich auf wie ein stolzer Adler, der sich in die Lüfte schraubt, um über alle zu triumphieren. Und nur böser Zauber könnte ihn noch gefährden. Der Greif in Eurem Traumbild mag vielleicht für den König stehen, so wie auch der Basilisk ein König ist, Herrscher über die Schlangenbrut nämlich, und er könnte als solcher den Feind und das Böse symbolisieren. Im Buche Hiob steht zu lesen: ›Im Nachtgesicht, da öffnet Er der Menschen Ohr, setzt sie in Schrecken durch Verwarnung, um sie zu bekehren von ihrem Tun und den Hochmut vom Manne fernzuhalten, seine Seele vor der Grube zu retten und sein Leben vor der Vernichtung durch das Todesgeschoß.‹ Es könnte also ebensogut eine Warnung sein.«
    Peter blickte so düster und sorgenvoll drein, daß ihn der Jude aufzuheitern versuchte: »Ich an Eurer Stelle hielte es mit Jesus Sirach, der da sagt: ›Nichtig sind Wahrsagung, Zeichendeuterei und Träume, und nur was du erwartest, das bildest du dir ein.‹ Und er sagt auch – verzeiht mir! – ›Träume regen nur die Dummen auf.‹«
    Peter brauchte nicht erst zu Paul hinüberschauen, um zu wissen, daß der bis über beide Ohren grinste.
    »Ihr seid ein kluger Mann, Isaak Goldstein«, bemerkte Paul launig, »und man fühlt sich wohl bei Eurer Gastlichkeit.« Er nutzte die Gelegenheit und füllte nochmals seinen Becher. »Glaubt Ihr nicht, wenn Euer Volk sich nicht immer so ganz anders und geradezu gegensätzlich zu unseren Bräuchen verhielte, daß Euch dann auch die Christen ins Herz schließen könnten?«
    »Sie tun es, mein Freund, sie tun es«, gab der alte Jude ebenso launig zurück, »nur tun sie es so halbherzig, wie sie mit vielem umgehen, was der Allmächtige den Menschen als gut und schön und zum Genuß gegeben hat. Sie verteufeln die sinnliche Lust der fleischlichen Vereinigung, und jede Stadt hat doch ihr Hurenhaus, sie geißeln die Völlerei zugunsten des Fastens, und ich habe mehr feiste Pfaffen gesehen als arme Bettler. Sie nehmen gerne des Juden Geld und schlagen uns gelegentlich

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