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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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lassen. Einerlei. In München konnte er das Geschriebene entziffern lassen und es dann dem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben. Bis dahin war die sichere Fahrt das einzig Wichtige, um das er sich zu kümmern hatte. Der Frühnebel hatte sich noch kaum gehoben, und feuchter Dunst lag über dem Ufergestrüpp. Wohl deshalb waren auch kaum Vogelstimmen zu hören. Nur ein paar Stockenten und ihre aufgeregt schnatternden Jungen schienen mit dem Floß um die Wette schwimmen zu wollen.
    Bald nach Kloster Schäftlarn verengte sich das Flußtal, und die Isar schien merklich reißender zu werden. Es ging auf die Schlucht zu unterhalb der Burg von Baierbrunn.
    Plötzlich tauchte vor dem Floß erst schemenhaft, dann immer deutlicher, ein riesiger Felsbrocken auf, der die Fahrrinne zu versperren schien.
    »Aufgepaßt, da vorn, das ist er!« schrie Jakob nach hinten. Er hatte seinem Steuermann noch vor der Fahrt vom großen Heiner erzählt. Es war ein gewaltiger Nagelfluhfelsen, wohl an die zehn Ellen mächtig, der vor undenklichen Zeiten vom Steilhang ausgebrochen und ins Wasser gerollt sein mußte, um dort jetzt den Flößern Leben und Arbeit schwerzumachen Böswillige erzählten, der Teufel selbst habe einen Knöchel geopfert und ihn ins Wasser geworfen in der Hoffnung, die Fergen würden bei dem Felsen jedesmal so gotteslästerlich fluchen, daß er die armen Seelen der Ertrunkenen gleich einsammeln konnte. Doch der höllische Schlaumeier hatte sich verrechnet, denn bei dem ehrfurchtgebietenden Ungetüm im Wasser war den Flößern allemal das Beten näher als das Fluchen.
    »Heiliger Nikolaus, hilf du!« Die inständige Bitte war kaum verklungen, als sie den Felsen auch schon erreicht hatten. Jetzt ging alles ganz schnell. Während das Wasser sie nach rechts trieb, direkt auf den Felsen zu, versuchten die Männer mit aller Kraft dagegenzuhalten. Breitbeinig gegen die Floßbäume gestemmt, zogen sie an den zerrenden Rudern, Muskeln und Sehnen zum Zerreißen gespannt. Augenblicke später schoß das knirschende Floß, nur eine Handbreit entfernt, an dem kantigen Felsen vorüber.
    »Gott sei Dank! Glücklich vorbei!« rief Jakob nach hinten. Und selbst der unerschrockene Hüne schien erleichtert aufzuschnaufen und nickte seinem Arbeitgeber lächelnd zu. Jetzt konnten die Männer wieder etwas entspannen und wenn sie schließlich kurz vor München noch die Isarüberfälle bei Thalkirchen meisterten, dann war die Fahrt so gut wie überstanden. Jakob freute sich darauf, bald wieder zu Hause zu sein und war jetzt froh darüber, daß er die schwierige Aufgabe angenommen hatte, die ihm langfristig noch von Nutzen sein konnte. Er malte sich in Gedanken bereits den guten Lohn, die Anerkennung des Kaufmanns und nachfolgende Aufträge aus.
    Oha, ich sollt’ nicht übermütig werden. Vor lauter Vorfreude und Träumen wären wir bald zu weit nach links gedriftet. Jakob rief sich selbst zur Ordnung. Die Isar vollführte eine große Biegung nach rechts, die aber unschwer zu durchfahren war. Zwei, drei kräftige Ruderschläge, und das Vorderteil des Floßes ruhte wieder in der Fahrrinne.
    Herrgott, ist das Floß schwer. Warum kommt es nicht herüber? So sehr sich Jakob auch mühte und ins Zeug legte, die Spitze des Floßes zeigte uferwärts, ja sogar mehr denn je. Verdutzt schaute der Floßführer nach hinten und mußte – als hätt’ ihn ein Floßbaum getroffen – feststellen, daß sein Steuermann das Ruder genau entgegen seiner Anweisung gesetzt hatte.
    »Heiliger Nikolaus! Andersrum! Druck! Druck dagegen!« Jakob schaute wieder nach vorn aufs Wasser, um die Korrektur der Fahrtrichtung zu beobachten. Doch es änderte sich nichts. Das Floß schoß in rasender Fahrt kerzengerade aufs Ufer zu, wo es in wenigen Augenblicken zerschellen mußte.
    »Roland, bist närrisch! Willst uns umbringen? Das ist kein Spiel!« rief Jakob verzweifelt nach hinten. Doch der Styrer hielt unerschütterlich das schwere Gefährt auf verderblichem Kurs. Und als Jakob sich mit vor Entsetzen geweiteten Augen erneut umsah, blickte er in ein teuflisches Grinsen. Urplötzlich fielen ihm die Worte von Meister Heimprecht ein: »In der Not paßt auch der Teufel ans Ruder.«
    Das… das kann doch nicht sein … Herr im Himmel, was hab’ ich verbrochen? Hilf mir! Seine Finger umklammerten krampfhaft die Ruderstange, und er starrte wie gebannt nach vorne. Er hätte aus Leibeskräften rudern müssen und war doch wie gelähmt. Gleich mußte es krachen, würden seine

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