Der Wachsmann
müßt Ihr Euch denn noch bis ins Dorf plagen? Setzt Euch und langt zu.« Jakob wäre bereit gewesen, sein Brot mit dem Steuermann zu teilen. Doch dies allein schien es nicht zu sein.
»Habt Dank, Meister Krinner! Es ist nicht Stolz, der mich Euer Angebot ausschlagen läßt. Ich will nur die Gelegenheit nützen und mich im Dorf umhören. Ich kenne die Gegend nicht und wüßte gern, wie es um Arbeit bestellt ist. Seid so gut und beschreibt mir den Weg.«
Dieser seit dem Aufbruch in Garmisch mit Abstand längsten Rede konnte Jakob schwerlich etwas entgegenhalten, und er beschrieb ihm den Weg zur Schenke von Weikenried, die am Schnittpunkt mehrerer Wege und an der wichtigen Landstraße von München nach Süden lag. Hier verkehrten Reisende und Fuhrleute, Händler und Pilger, Soldaten und Gesindel, und es gab daher stets Neuigkeiten zu erfahren.
»Es geht steil den Hang hinauf und Dreiviertel einer Wegstunde werdet Ihr schon brauchen. Mich tät’ heut keiner mehr hinaufbringen.«
»Macht Euch darum keine Sorgen«, erwiderte der Kraftprotz lachend, »ich bin rechtzeitig zurück und der Arbeit soll’s nicht schaden.«
Es dämmerte, würde aber noch eine gute Stunde hell bleiben. Jakob genoß die friedliche Abendstimmung am Fluß, während er sein Nachtmahl verzehrte. Die Hitze des Tages war einer erfrischenden Brise gewichen, und nur die Schwärme lästiger Blutsauger störten ein wenig die Idylle. Das bleiche, erst zur Hälfte sich zeigende Antlitz des Mondes leuchtete mit zunehmender Dunkelheit immer kräftiger über dem Rand des Steilufers. Jakob schnitt ein paar Zweige ab und bereitete sich neben den Holzstößen ein bequemes Lager, nicht so warm und weich wie an der Seite von Lies, aber annehmbar. Er empfahl sich und seine Lieben dem Herrn, hüllte sich in seinen Mantel und schlief alsbald den Schlaf des Gerechten.
Irgendwann in der Nacht schreckte er hoch. Jemand mußte gestolpert sein. Er hörte einen leisen Fluch und kurz darauf ein Plätschern. Sein erster Blick galt dem Floß, das sanft auf den Wellen schaukelte. Alles schien ruhig. Gleich darauf ein Rascheln in der Uferböschung, und jetzt sah Jakob auch den riesigen Schatten: Es war Roland, der von seinem Erkundungsgang zurückkam und sich im Gebüsch erleichterte. Jakob war beruhigt und hatte nichts weiter zu fürchten. Er stellte sich schlafend, doch der Schlaf selbst wollte sich so schnell nicht wieder einstellen. Dem beträchtlichen Stück Himmel nach, das der Mond inzwischen durcheilt hatte, mußte es weit nach Mitternacht sein. Warum kam der Steuermann erst jetzt zurück? Was hatte er solange getrieben, und hatte nicht schon die erste Begegnung am Spieltisch stattgefunden? Nein, Jakob durfte nicht vorschnell urteilen. Schließlich wäre Roland nicht der einzige Flößer, der einen guten Trunk zu schätzen wußte, und ein bärenstarker Kerl wie er, der konnte auch etwas vertragen. Ob jemand seine Arbeit rechtschaffen machte, darauf kam es an, und dies würde sich bei Tagesanbruch zeigen. Allmählich glitt Jakob wieder in unruhigen Schlummer, bis er beim ersten Morgengrauen erwachte. Er weckte den schnarchenden Riesen, was erst nach kräftigem Schütteln gelang.
Er sieht nicht gut aus, dachte Jakob, als sein Gehilfe ihn nach einer Weile mit wäßrigen, rotgeränderten Augen ansah. Er roch nach abgestandenem Bier. Keiner von beiden sagte etwas. Jakob glaubte nicht das Recht zu haben, ihm jetzt schon Vorwürfe zu machen. Er wollte abwarten und packte schweigend seinen Rucksack zusammen. Nach einem wortlosen, kargen Frühstück begaben sich beide aufs Floß. Während der Floßmeister das vordere Ländseil löste, fiel sein Blick zufällig auf einen hellen Fleck im taufeuchten Gras in der Nähe des Busches, den der Styrer in der Nacht gewässert hatte. Er bückte sich rasch danach und hob ihn auf. Es war ganz offensichtlich ein zusammengefaltetes Stück Pergament. Ein flüchtiger Blick bestätigte, daß es beschrieben war, aber Jakob konnte nicht lesen. Das Floß trieb bereits vom Ufer weg und zerrte an der Leine, die sein Lenker noch in der Hand hielt. Es war höchste Zeit für ihn aufzuspringen und das Ruder zu übernehmen. Das Pergament steckte er einstweilen kurzerhand unter den Gürtel. Ob es dem Styrer gehörte? Wenig wahrscheinlich, denn sicher konnte er ebensowenig lesen. Wenn es eine Mitteilung oder irgendeine schriftliche Aufzeichnung für die Mönche war, dann war es jetzt zu spät. Es hatte sich noch keiner der Brüder an der Lände blicken
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