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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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ein albernes Rätsel, eine sinnlose Tändelei, die ihn irgendwie an die Zahlenspiele dieses Schurken Friedericus erinnerte, mit dem er nichts mehr zu tun haben wollte. Vielleicht gab es noch einen anderen Zugang. Wenn dieser Text nicht nur ein kindisches Geplänkel, sondern tatsächlich eine geheime Botschaft war, und wenn Peters Befürchtungen zutrafen und Verrat oder gar ein Anschlag auf das Leben des Königs geplant waren, dann sollte doch in Dreiteufels Namen irgend etwas auf Ludwig hindeuten. Die Wahl – natürlich! Wieder fielen Peter die Worte des falschen Doktors ein. Durch Wahl und Krönung habe Ludwig sein eigenes Schicksal besiegelt, und er sagte noch etwas von Hochmut oder Vermessenheit. Peter schloß daraus, daß die erste Zeile lauten könnte: Rache wird für den Tag der Wahl. Das klang einleuchtend. Aber schon begann die nächste Schwierigkeit: Wessen Zeichen war gemeint? Ob sich ein Name dahinter verbarg? Der Name eines Edlen? Es mußte mit den Österreichern zu tun haben oder mit Rudolf, da bestanden kaum Zweifel, denn sie waren es schließlich, die die Wahl bestritten und angefochten hatten und seither mit Ludwig in blutigem Streit standen. Peter kannte die Geschichte von Richard Löwenherz gut, die im christlichen Abendland oftmals erzählt wurde. Der damalige Herzog Leopold von Österreich hatte den englischen König bei seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land gefangennehmen lassen. Es hieß, Richard habe nach der Erstürmung der Festung von Akkon das Banner des Österreichers vom Turm hinab in den Schmutz geworfen und Leopold damit verhöhnt, worauf dieser Rache geschworen habe. Sollte sich ähnliches bei der Königswahl zugetragen haben? Es wollte sich jedoch weder Friedrichs noch Leopolds Name in die Zeile fügen, und Peter hatte auch nie von derartigen Dingen gehört. Und was die Leiche in Zeile vier betraf: Er wußte auch nichts davon, daß jemand dabei zu Tode gekommen sei. Hingegen erzählte man sich, daß bei der Krönung König Albrechts, des Vaters von Friedrich und Leopold, in dem schrecklichen Gedränge während der Feierlichkeiten der Kurfürst von Sachsen erdrückt worden sei. Welch böses Omen!
    Aber es mußte etwas mit der Wahl zu tun haben, und Peter las den Text wieder und wieder. Und plötzlich dämmerte es ihm: Der Tag selbst war es! Und wenn er den Satz einfach anders ergänzte, anstelle des für den einfach ein am einsetzte, dann war es sonnenklar: Rache wird am Tag der Wahl!
    Es war ein Anschlag und Racheakt geplant zum Jahrestag von Ludwigs Wahl zum römisch-deutschen König. Soviel stand für Peter jetzt fest. Alles andere schien zunächst nicht so wichtig und mochte sich später schon irgendwie ergeben. Doch wann war dieser Tag? Aus dem Gespräch mit dem Stadtschreiber wußte er, daß Ludwig Anfang April 1315 nach München zurückgekehrt war. Aber das war lange nach seiner Wahl und Krönung. Hatte nicht Friedericus etwas von November gesagt? Richtig, im November 1314 hatte Ludwig die Krone empfangen. Dann mußte die Wahl schon geraume Zeit vorher stattgefunden haben, wohl irgendwann zu Beginn des Herbstes. Aber… aber bis zu diesem Zeitpunkt war es nicht mehr so lange hin. Es war Mitte August und gerade heute so scheußlich, als wäre schon der November vorgeprescht. Bald jedenfalls würde der Herbst an die Türe pochen. Ob die Sache in Verbindung mit dem Feldzug geplant war? Das gäbe eine Katastrophe. Himmel, er mußte unverzüglich den Richter von seiner Entdeckung in Kenntnis setzen. Doch ob der das genaue Datum der Wahl kannte? Wahrscheinlich war es günstiger, erst den Stadtschreiber aufzusuchen. Der mußte es schließlich ganz genau wissen.
    Peter war höllisch aufgeregt. Er stürmte aus dem Haus und in die Burgstraße. Konrad Orlos sei in einer wichtigen Sitzung und dürfe nicht gestört werden, hieß es da. Dann eben doch gleich zum Richter – nach Hause oder ins Rechtshaus? In des Dieners Gasse erklärte man ihm, der Stadtrichter säße zu Gericht und sei nicht verfügbar. Der Gerichtsschreiber wiederum gab dort die Auskunft, daß die Verhandlung längst beendet sei und Konrad Diener sich mit unbestimmtem Ziel entfernt habe. Es war zum Verzweifeln. Peter sprach Bürger auf dem Marktplatz an, von denen er glaubte, sie könnten es wissen. Doch was galt schon ein solches Datum. Wenn es sich um den Jahrestag eines viel bestaunten Wunders gehandelt, oder wenn der König zu diesem Tag eine hochherzige Spende gemacht hätte, ja dann; aber einfach so… Und außerdem,

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