Der Wachsmann
harten Lederharnisch, die Mehrzahl nur ein kräftiges Wams, das mit aufgenieteten Lederflecken verstärkt war. Die Waffen des kleinen Mannes waren die Armbrust oder der Spieß und manchmal auch nur ein gut geführter Dreschflegel und ein lautes Mundwerk.
Das Stadtheer marschierte in zünftiger Ordnung. Da waren die Kistler und Schäffler, die Hafner und Drechsler, die Metzger und Bäcker, die Schneider und Loderer, die Gürtler und Taschner, die Schlosser, Sporer und Waffenschmiede, und selbst ein Grüppchen Schuster war dabei. Sie hielten ihre Wimpel und Zunftzeichen hoch und winkten nach Kräften. Und ein Geschrei war allerorten, als hätte das Schlachtgetümmel schon begonnen. Das Aufgebot umfaßte nur etwa zweihundert Mann, aber ein Vielfaches säumte die Straßen und lief nebenher, so daß die Zahl schier grenzenlos erschien. Den Abschluß bildete eine lange Reihe von Wagen und Karren, auf denen Zelte und Rüstzeug, Proviant mit Wein und Bier, Bretter und Eisen, Werkzeuge, Seile und Ersatzräder in Begleitung und Obhut von Köchen, Wagnern und Schmieden transportiert wurden. Der Troß wäre unvollständig gewesen ohne den Karren mit grell geschminkten Hübscherinnen, die frech und herausfordernd in die Runde blickten. Die Bürgerstöchter und ehrsamen Frauen murrten und taten ihre Verachtung kund, aber manch eine schwankte noch zwischen Erleichterung, daß die gemeinen Dirnen fort waren und der Sorge um die Keuschheit von Sohn, Bruder und Gatten während der nächsten Wochen im Feld.
Beim Rathausturm stand die Geistlichkeit von Sankt Peter, stimmte Bittgesänge und Litaneien an und versprengte mit dem Weihwasserpinsel feuchten Segen. Der Zug wälzte sich unter Hurrageschrei und markigen Sprüchen, heißen Tränen und lauten Liebesschwüren sowie viel Lärm und Getöse durchs Tal und zum Kaltenbachtor hinaus, über den Grieß hinunter zur Isar, über die ob der Last gefährlich schwankende Brücke und schließlich hinauf ins Dörfchen Haidhausen und weiter nach Nordost, dem sicheren Sieg entgegen. Die besonders Forschen stimmten schon übermütig den Schlachtgesang an: »In Gottes Namen fahren wir…«, ans Sterben dachte keiner.
Peter hatte dem fröhlichen Zug zusammen mit Perchtold und Heinerl, der auf seinen Schultern ritt, vom Eingang zum Maenhartbräu aus zugesehen. Während die Buben nun dem Troß noch eine Weile hinterher liefen, schaute Peter bloß nachdenklich und mit gemischten Gefühlen dem Aufgebot nach. Er wußte nicht recht, ob er lieber dabei sein wollte, oder ob es besser war, seine Aufgabe zu Hause zu erfüllen. Er gönnte selbst dem aufgeplusterten Ridler seinen kleinen Triumph, und es störte ihn daran einzig die Tatsache, daß sein knausriger Bruder Michael nun nicht einmal das Reisgeld als Abgeltung für nicht geleisteten Waffendienst zu zahlen hatte.
Während er noch unschlüssig dastand, wurde er plötzlich von hinten an der Hüfte umklammert und eine vertraute Stimme flüsterte ihm einschmeichelnd ins Ohr: »Es gibt noch andere Felder der Ehre, auf denen sich wackere Burschen beweisen können. Wir haben lange keine Schlacht geschlagen – viel zu lange…«
Peter fuhr herum, packte Agnes und stemmte sie mit einem Juchzer in die Höhe, lud sie kurz entschlossen auf die Arme und trug sie unverzüglich himmelwärts. Und er wußte augenblicklich, daß er den besseren Teil gewählt hatte, denn die anderen mußten den Sieg erst noch erkämpfen, ihm war er soeben zugefallen.
Mariä Himmelfahrt galt nicht nur den Schlachtenlenkern als günstig, denn dieser Tag leitete auch den Frauendreißiger ein, der in völligem Gegensatz zu Lärm und Unfrieden stand und weit eher dem Wesen der Jungfrau entsprach. Damit war die Zeit bis wenige Tage nach dem 8. September, dem Gedenken an Mariä Geburt, gemeint. Es war eine versöhnliche Zeit und in guten Jahren eine Periode besonderen Friedens. Man glaubte, daß die Natur dem Menschen in besonderer Weise gewogen war. So war es die beste Zeit, um bestimmte Kräuter zu sammeln, und selbst Giftpflanzen sollten in diesen Tagen ungefährlich sein, wenn man Kröten fing und aufschlitzte, damit ihre Kadaver das Gift auf sich ziehen konnten.
Derart friedvoll gestimmt brachten die Menschen die restliche Ernte ein, Getreide, Rüben und Kohl auf den Feldern ringsum und Hopfen in den Klostergärten. Man erfreute sich der wohligen Wärme des Spätsommers, bereitete sich aufs Dreschen vor und stimmte sich dort, wo Reben gediehen, auf die Traubenlese ein.
In der Stadt
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