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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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sich, und wenn er nicht dem Leonhart gegolten hatte, wem dann? Sollte er nur eine Drohung darstellen, oder war er schon wirksamer Schadenzauber? Und was stellte der alte Pütrich mit seiner Alraune an? Diente sie ihm nur in seiner Eigenschaft als Kaufmann, um seinen Reichtum zu mehren, oder verfolgte er andere Ziele damit? Warum war sie bei dem angeblichen Einbruch nicht gestohlen worden, wo sie doch so kostbar war? Fragen über Fragen, auf die er keine Antwort wußte und die im Verein mit dem Kopfschmerz sein Gehirn behämmerten.
    Und dann schlichen sich die scheußlichen Tiere seines Traums wieder ins Gedächtnis, wie die Übelkeit durch sein Gedärm. Falls nun der König tatsächlich dem siegreichen Greif entsprach, für wen stand dann das schwarze Roß, das jäh in den Abgrund stürzte? Und wer konnte garantieren, daß die Rollen nicht doch anders verteilt waren? Isaak hatte sich da keineswegs festgelegt. Mochte man Peter dafür auch zu den Dummen zählen, der Traum regte ihn dennoch auf und zwar mehr denn je. Schließlich war darin auch der triumphierende Greif von einem Anschlag bedroht. Der widerliche Zwerg sandte einen Pfeil nach ihm.
    Lag es bloß am schlechten Wetter, an seiner körperlichen Verfassung oder an seiner düsteren Stimmung? Oder war es berechtigte Vorahnung? Er fühlte Bedrohung und verspürte zunehmend Angst. Lies kam ihm in den Sinn mit ihren seherischen Gaben. Ob er sich ihr anvertrauen und sie um Rat fragen sollte? Sie hatte ihn vor Schwarzer Magie und dunklen Machenschaften gewarnt. Ganz gewiß könnte sie ihm auch das Traumgesicht deuten. Doch rasch wurde ihm klar, daß Lies auch ihrerseits sicherlich Fragen hätte, und was sollte er darauf antworten? Was konnte er denn vorweisen, außer daß es noch zwei scheußliche Morde gegeben hatte. Und sehr wahrscheinlich könnte sie ihm auch nicht weiterhelfen, da sie bereits bei dem Psalm hatte passen müssen. Und zu dem anderen Stück Pergament war ihr auch nur eingefallen, daß es eine Prophezeiung oder eine geheimnisvolle Botschaft… Botschaft! Perchtold hatte doch auch von einer Botschaft gesprochen, die einer von diesen Schurken in Weikenried verloren hatte. Aber natürlich! Der eine von beiden mußte dieser Roland gewesen sein, der Jakob zufolge mit ihm die Floßfahrt unternommen und ihn dabei schier umgebracht hatte. Wenn es nun dieser Roland war, der die Botschaft verloren hatte, und Jakob hatte sie gefunden… das Pergament! Dieses unscheinbare Stück Haut, das Jakob unter dem Gürtel bei sich getragen hatte, mußte die Lösung enthalten. Es sollte nach Augsburg gehen oder ins Habsburgische, zusammen mit dem Siegel für irgendeine Schurkerei. Und dann war der dumme oder glückliche Zufall dazwischengekommen oder richtiger: die Schlamperei dieses Roland und Perchtolds Gewitztheit.
    »Himmel«, durchfuhr es Peter jäh, und der Tag schien sich zum Besseren zu wenden, »da plagen wir uns die ganze Zeit mit diesen Psalmen ab, und die Lösung liegt so nah.« So nah? Verflucht, wo War dieser Fetzen abgeblieben? Keiner hatte ihm mehr Beachtung geschenkt.
    Peter hielt die Ungewißheit nicht aus. Um die Mittagszeit rannte er zu Pauls Behausung, stürzte in seine Kammer und durchwühlte den Sack mit seinen Habseligkeiten… und, gottlob, da war er. Er nahm das zerknitterte Schriftstück fast behutsam in die Hand, entfaltete es und überflog rasch den Inhalt, um sich zu vergewissern.
     
  Rache wird
     
      Tag der Wahl   und des
     
      Izen Zeichen   zähle Buchs
     
      wäge Zahl und   Fluch se
     
      einer Leichen   Kein Zweifel, es war der gesuchte Text. Aber von wegen Lösung! Der Inhalt wollte sich ihm jetzt ebensowenig erschließen, wie damals, als er den Zettel zum ersten Mal in seiner Hand hielt. Es war nicht das Original, aber Agnes hatte den Text so kopiert, als ginge auch hier die Knickstelle mittendurch, so daß der Mittelteil unleserlich war und der Sinn verborgen blieb. Er mußte versuchen, das Fehlende irgendwie zu ergänzen. Am einfachsten erschien ihm dies in der dritten Zeile. Es sollte wohl Buchstab oder Buchstaben heißen, soviel war sicher. Aber was bedeutete die Anweisung? Er versuchte es einfach und zählte die Buchstaben der Reihe nach durch und kaum hatte er deren Zahl ermittelt, da war ihm auch klar, daß es vergebliche Mühe war, denn er müßte schließlich die fehlenden Buchstaben mitzählen, und wie groß war deren Zahl? Was also könnte er schon wägen und vor allem wie? Das ganze erschien ihm plötzlich wie

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