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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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nicht stören. Paul seinerseits auch nicht. Er setzte sich gegenüber, löffelte genüßlich seine Mahlzeit und beobachtete interessiert, was sein junger Freund nun wieder ausbrütete.
    Peter war so in seine Aufzeichnungen vertieft, daß er gar nicht bemerkte, wie Agnes auf ihn zuging. Sie stolzierte zum Gaudium der anderen seltsam gekünstelt, so als imitiere sie jemanden, und trug die Nase himmelwärts gerichtet. »Was bin ich heute aber vornehm«, flötete sie mit spitzen Lippen. »Ich bin die schönste unter den hohlen Gänsen dieser Stadt!«
    Etliche der Gäste, die schon ahnten, wem die boshafte Anspielung galt, lachten lauthals. Nur Peter war in einer anderen Welt und schien nichts mitzubekommen.
    Agnes ging ihn nun direkt an: »He, du Träumer! Siehst du nicht, wie ich mich herausgeputzt hab’?« Sie hatte sich eine riesige Schmalznudel an die Brust geheftet, beugte sich weit über den Tisch und lockte verführerisch wie eine tanzende Zigeunerin mit dem seltsamen Schmuck. »Seht Ihr meine Pretiosen, edler Herr? Greift zu!«
    Der Umworbene lächelte gequält und hob abwehrend die Hand: »Nicht jetzt, Agnes, bitte!«
    »So ein Narr! – Der muß krank sein! – Ich tät’ sofort zugreifen!« kommentierten die angespitzten Gäste ungläubig.
    Agnes drehte sich mit hochmütiger Miene zur Seite und stichelte: »Ich weiß schon, daß der junge Herr es nicht hören mag, aber Ihr hättet sie heute wieder sehen müssen, wie sie…«
    Peter hob abermals die Hand und bat, diesmal schon etwas mürrisch: »Bitte, Agnes, nicht jetzt!« Und schon flog die Feder wieder übers Pergament. Er mußte sich konzentrieren, seine Überlegungen Punkt für Punkt niederschreiben und aufnotieren, was dringend noch zu tun war.
    »Pah!« wandte sich Agnes schnippisch ab, und Paul zog sie lachend neben sich auf die Bank. »Laß ihn brüten! Erzähl’s uns dafür!«
    Agnes ließ sich nicht lange bitten. »Ich sage Euch, wie diese eingebildete Schnepfe vom Pütrich heute vor St. Peter wieder angegeben hat! Eine Fibel, so groß wie ein Wagenrad hat sie sich vor den Busen gehängt und ist damit herumstolziert, als trage sie das Siegelzeichen der Königin spazieren. Dabei hat sie ein Gesicht wie saures Mus und Brüstchen wie zwei Mäusezitzen und einen Arsch wie aufgeplatztes Fallobst. Mit der nehm’ ich’s doch allemal auf!«
    Ihre Gäste, selbstredend alles nur Nachkommen Adams, stimmten ihr begeistert zu und ließen ihre fesche Wirtin hochleben.
    Peter ließ plötzlich die Feder fallen und starrte wie vom Blitz getroffen. Er sprang auf, ging rasch auf Agnes zu und packte sie an den Schultern. Alle schauten gespannt, was nun passieren würde, und Peter herrschte sie an: »Was hast du eben gesagt? Sag’s noch mal!«
    Agnes schaute ziemlich skeptisch, zog den Kopf ein wenig ein und sagte zögernd: »Naja, daß die eben aussieht wie…«
    »Nein, zuvor!«
    »Daß sie rumläuft wie…«
    Doch Peter wartete gar nicht erst ab. Er nahm ihren Kopf in beide Hände und drückte ihr einen schmatzenden Kuß auf die Lippen.
    »Du bist ein Schatz, Agnes! Ich hab’s immer gewußt!« Und ohne ein weiteres Wort der Erklärung rannte er zur Türe hinaus.
    »Die letzten Tage waren zuviel für ihn«, raunten die Gäste und befürchteten: »Der arme Kerl spinnt schon wie der Gottschalk.«
    Agnes setzte sich verwirrt neben Paul, trank einen großen Schluck aus seinem Krug und schaute ihn fragend an. »Ich mach’ mir allmählich ernste Sorgen um ihn.«
    »Brauchst du nicht«, tröstete Paul sie lachend. »Ich glaube, der Schelm weiß schon mehr, als wir alle zusammen. Wart’s nur ab!«
    »Ihr wollt so früh schon aufgeben?« fragte der Richter mit selbstzufriedenem Schmunzeln. »Ihr habt noch einen ganzen Tag.«
    »Zwei Tage«, erwiderte Peter atemlos. »Gebt mir noch zwei zusätzliche Tage!«
    »O nein, mein Freund! Ihr kennt unsere Abmachung. Nun bin ich am Zug!«
    Doch was Peter nun dem Richter erzählte, versetzte diesen in Erstaunen, und er war gerne bereit, den Aufschub zu gewähren, damit die Falle zuschnappen konnte; denn Peter kannte den Mörder, und diesmal gab es keinen Zweifel.
    »Ich brauche Eure Hilfe und Eure Erlaubnis«, sagte Peter, »und außerdem das Siegel des Königs.« Nichts davon wurde ihm verwehrt.
    Während der folgenden zwei Tage residierte Peter im Nebenraum der Gaststube wie ein Feldherr, der den Maenhartbräu als sein Hauptquartier gewählt hatte. Er war zwar keineswegs mehr mürrisch und brummig wie die Tage zuvor, aber wer

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