Der Wachsmann
unheilvoll und grausam zerstörend.«
»Hirngespinste eines Juden«, ereiferte sich Heinrich Pütrich und rief dem Richter zu: »Ihr seht, wohin dies führt! Diese Brut ist gefährlich und aufrührerisch; sie stürzen uns alle ins Verderben!«
Peter hörte nicht auf ihn und sagte zum Bruder des Alten: »Ihr habt es bedauerlicherweise nicht geschafft, Euch von Eurem Haß zu lösen. Vielmehr habt Ihr den Weg der Rache und Zerstörung beschritten. Und als Ihr einmal damit begonnen hattet, konntet Ihr nicht mehr zurück. Oh, ich hab’ lange gebraucht, dies zu begreifen, beinahe zu lange; denn aus Gründen meiner… aus irgendeinem Grund war ich gefangen in der Annahme, daß es die älteren Brüder sind, die ihre nachfolgenden Brüder niederhalten, das ihnen an Besitz und Rechten Zustehende verweigern und ihr Emporkommen zu verhindern suchen. Unzählig sind die Beispiele hierfür, und eines der schrecklichsten finden wir im jahrelangen mörderischen Ringen unseres Herrn Königs mit seinem Bruder Rudolf. Auch Euch hielt ich stets für einen bedauernswerten Nachkömmling, der unter der Vorherrschaft des Älteren zu leiden hat, sie aber ohne erkennbares Murren erträgt. Welch folgenschwerer Irrtum!«
Er wandte sich dem Alten zu: »Es war ebenso der weise Jude, der mich vor der heimlichen Wut der scheinbar Unterdrückten gewarnt hat, vor denen, die sich den Anschein geduldigen Ertragens und harmloser Gutmütigkeit geben und dabei im stillen zu reißenden Bestien werden. Hätte ich doch früher auf ihn gehört, könnten der Schuster und Gottschalk vielleicht noch leben.«
»Pah!« schnaubte der Alte verächtlich und zischte unbelehrbar. »Leichtgläubiger Judenknecht!«
Peter reagierte nicht auf die Beleidigung und fügte überlegen hinzu: »Es war noch ein Jude, der mir geholfen hat: Der Patriarch Joseph. Auch ihm spielten seine älteren Brüder übel mit, doch er verzieh ihnen. Aber vor ein paar Tagen fragte ich mich ganz plötzlich: Was wäre gewesen, wenn Joseph sich an seinen Brüdern gerächt hätte? Und mit einem Mal hielt ich den Schlüssel in Händen, nach dem ich bisher vergeblich gesucht hatte.«
Er trat dicht vor Ludwig Pütrich hin. »Ihr wurdet von Eurem Bruder enttäuscht und abgewiesen, habt lange Zeit vergeblich um seine Zuneigung und Achtung gekämpft. Und plötzlich habt Ihr angefangen ihn zu hassen und hattet nur noch das eine Bedürfnis: Euch an ihm zu rächen.«
»Blödsinn!« fauchte der Beschuldigte.
»Euer Fehler war«, fuhr Peter ungerührt fort, »daß Ihr zu sehr von dem Gedanken an Rache besessen und in entscheidenden Momenten zu ungeduldig wart. Ich will Euch sagen, wie ich glaube, daß sich alles abgespielt hat. Und, bitte, korrigiert mich nach Kräften, wo Ihr der Meinung seid, daß ich mich irre.
Ich weiß nicht, zu welchem Zeitpunkt die ganze traurige Geschichte wirklich begonnen hat, aber irgendwann wart Ihr in Geldnöten. Euer Bruder hat Euch kurz gehalten und Euch als Kaufmann wenig zugetraut. Ich habe es noch gut im Ohr, wie er rief: ›Es ist mein Geld, mein Wein und mein Handelshaus.‹ Vielleicht habt Ihr versucht, Euch eigene Wege zu erschließen, aber er hat Euch selbst den Euch zustehenden Anteil am Geschäft vorenthalten, so daß Ihr anderswoher Geld beziehen mußtet. Wahrscheinlich aber gab es noch einen dringenderen Grund, nämlich den, daß Ihr am Scholderplatz große Summen verspieltet.«
»Er hat nie etwas getaugt und hätte das Geschäft in den Ruin geführt«, keifte der Alte, während Ludwig diesmal nur fratzenhaft grinste.
»Eine größere Summe Geldes einfach beiseite zu schaffen, dürfte Euch schwer möglich gewesen sein, da Pütrich senior das Vermögen zu genau kontrollierte, so daß Ihr rasch in Verdacht geraten wärt. Ihr konntet also nur auf Umwegen drankommen. Eines Tages verunglückte ein Floß mit Waren des Handelshauses Pütrich. Das brachte Euch auf die Idee, solchen Unfällen von Zeit zu Zeit Vorschub zu leisten, um auf diese Weise Geld für Euch abzweigen zu können, ohne dabei Gefahr zu laufen; denn das Risiko trugen letztlich die ahnungslosen Flößer. Dummerweise ist der gut vorbereitete Plan bei Jakob schiefgelaufen. Das hat ihn auf grausige Weise das Leben gekostet und zu erster Verwirrung in der Stadt geführt.
Es hat uns großes Kopfzerbrechen bereitet, den Überfall mit den Morden in Verbindung zu bringen, denn warum sollte Heinrich Pütrich, der lange im Verdacht des Mordes stand, seinen eigenen Warentransport überfallen und beiseite
Weitere Kostenlose Bücher