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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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einem rätselhaften und unvollständigen Spruch. Wir wissen nicht, wie Jakob dazu kam. Es muß eher zufällig und von Euch ganz sicher nicht beabsichtigt gewesen sein; denn der Spruch ließ – so verworren er auch war – den Schluß zu, daß unserem König am Jahrestag seiner Wahl etwas zustoßen solle, was nichts anderes bedeutet als Hochverrat. Als ich Jakobs Leiche nach Wolfratshausen gebracht hatte, wurde ich auf dem Rückweg überfallen. Es waren keine gewöhnlichen Strauchdiebe, und was sie bei mir suchten, war ebendieses Pergament. Eure Leute, Ludwig Pütrich, haben es mir entwendet, und daraus konntet Ihr schließen, daß ich und somit auch der Stadtrichter und Vertrauensmann des Königs den geplanten Anschlag erahnen konnten. Ihr habt nun, als Ihr darangingt den Leonhart zu morden – den Grund kennt Ihr so gut wie wir –, dies gleich zum Anlaß genommen, um in geschickter Weise auch den Verdacht des Hochverrats auf Euren Bruder abzuwälzen, indem Ihr neben der Leiche diesen Atzmann hier in die Zweige hängtet. Er trägt unverkennbar ein großes ›L‹ in den Leib geritzt, und Ihr versäumtet es beim Verhör durch Konrad Diener hier in diesem Hause nicht, genüßlich darauf hinzuweisen, daß dieses ›L‹ für Ludwig und somit für den König stehen könnte, nachdem Ihr zuvor schon scheinbar arglos und wie als Entlastung getarnt erwähntet, daß Euer Bruder belanglose Kräuter und Psalmverse in diesem Schränkchen verwahre.«
    Ludwig Pütrich war jetzt nicht mehr zu halten. Er sprang auf, wobei er den Stuhl umstieß, und brüllte mit hochrotem Gesicht: »Jetzt habe ich genug! Das könnt Ihr nicht machen! Ich lasse mir von Euch nicht auch noch Hochverrat in die Schuhe schieben! Er war es!« Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf Heinrich Rabenecker. »Er hat den Plan ausgeheckt. Ich habe davon nichts gewußt. Es ist ganz allein seine Sache, und er hat es zu verantworten!«
    Inzwischen war auch Rabenecker aufgesprungen und schrie zurück: »Halt endlich das Maul, du gottverdammter Narr! Nichts können sie uns beweisen, gar nichts! Nur du lieferst ihnen die Beweise, weil du dich wie ein gekränktes Waschweib benimmst!«
    Als sich die Gemüter halbwegs beruhigt hatten, fuhr Peter fort: »Ich danke Euch, Ludwig Pütrich, in diesem Punkt war ich mir nämlich noch nicht sicher. Aber nun stellt es sich so dar, wie ich vermutete: Ihr habt zwar gemeinsame Sache gemacht, aber Euer Fluch war es, daß Ihr nicht immer und von Anfang an am gleichen Strang gezogen habt, weil jeder sein eigenes Süppchen kochte und hauptsächlich nur sein Interesse verfolgte. Dies wurde Euch letztlich zum Verhängnis.«
    »Schwätzt nicht und kommt zur Sache«, blaffte der Rabenecker erbost. »Ich will jetzt endlich wissen, wessen man mich beschuldigt, oder Ihr habt nicht das Recht mich hier festzuhalten.«
    »Einen Augenblick noch«, vertröstete ihn Peter. »Bringen wir erst diese Sache zu Ende, denn es drängt sich doch jetzt die Frage förmlich auf: Was hat es mit diesem Wachsmann auf sich? Ihr, verehrter Heinrich Pütrich, könntet uns darüber wohl am berufensten Auskunft erteilen, aber ich fürchte, Ihr wollt uns diesen Gefallen nicht tun.«
    Der Alte erwachte kaum aus seiner dumpfen Teilnahmslosigkeit, mit der er das Geschehen seit der Psalterprobe an sich vorüberziehen ließ und knurrte nur: »Laßt mich in Ruhe!«
    »Wohlan«, sagte Peter, »so werde ich es offenbaren. Daß Ihr den Wachsmann geknetet habt, das hat uns Euer Bruder nach der Psalterprobe schon freundlicherweise bestätigt. Was er uns vorenthielt, war, daß die Puppe auch anfänglich immer nur von drei Nägeln durchbohrt war und zwar im Herzen und an den Lenden oder neben dem Geschlecht. Er hat sie bei seinem Einbruch in das Schränkchen so zusammen mit den Psalmen vorgefunden. Es bereitete ihm keine Schwierigkeit, das Geheimnis zu enträtseln. Et brauchte nur das seltsame Verhalten Gottschalks zu beobachten und ihn unter Druck zu setzen, um zu erfahren, daß der Fluch ihm, Ludwig Pütrich, galt und nicht dem König oder jemand anderem. Gottschalk war Mitwisser und Euer Gehilfe, und dies war wohl auch der Grund, daß er zunehmend wunderlicher wurde, sich dem Saufen hingab und seine Pflichten vernachlässigte. Wollen wir zu seinen Gunsten annehmen, daß ihn sein Gewissen plagte, denn die Sache hatte mit der Herstellung des Atzmanns ja noch kein Ende. Wie Ihr selbst nur zu gut wißt, und wie ich bei unserem vorletzten Besuch schon ausführte, erfordert das

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