Der Wachsmann
halten, der das Gesicht eines Galgenvogels hatte, nur um dem Jakob damit zu helfen. Und so gut kannte er ihn nun auch wieder nicht. Alle mochten zwar den Jakob, aber der brachte in der Regel nur seine Lieferung nach München, rechnete ab, trank ein paar Becher und war auch schon wieder auf dem Heimweg. Es mußte Spitzbuben regnen oder gewittern und hageln, bevor Jakob in der Herberge übernachtete. Bei so einer Gelegenheit hatte er ihm einmal anvertraut, daß es ihn stets gleich wieder zu seiner Lies und den Kindern zöge. Oh, wenn Peter doch nur etwas für ihn tun könnte. Das untätige Warten war das Schlimmste.
An der Nordwestseite des Marktes, unmittelbar vor der unteren Kornschranne, stand das Rechtshaus, in dessen Obergeschoß der Stadtrichter über Wahrheit und Recht befand. Wahrscheinlich, dachte Peter, wäre es für den Jakob erheblich besser gewesen, wenn der Richter selbst den Fall übernommen hätte. Andererseits, wenn der Rat verhandelte, dann konnte die Sache kaum blutig ausgehen. Und überhaupt, erst mußte ja eine Schuld des Jakob bewiesen sein. Und daran glaubte Peter ganz einfach nicht.
Während er so zum Rechtshaus hinüberschaute, fiel sein Blick mit einem Mal auf die Läden, und er mußte lachen. Es war schon eine sonderbare Geschichte, daß im Erdgeschoß Brezen und Wecken, Tuch und Tand verkauft wurden, während es im Stockwerk darüber zur gleichen Zeit vielleicht um den Hals ging. Es gehörte eben alles zusammen: Fressen und Saufen, Markt und Recht, Leben und Sterben. Aber gehörten dann nicht auch Recht und Unrecht zusammen wie der Metzger und das Schwein? Das eine war ohne das andere doch zu nichts nütze. Alles hatte irgendwie zwei Seiten und schien doch miteinander verbunden. Und Peter hatte sogar schon von Leuten gehört, die behauptet hätten, der Teufel sei gar nicht der von Gott geschaffene und abtrünnige Engel Luzifer, sondern gehöre von jeher als Macht des Bösen untrennbar und wesentlich zur göttlichen Ordnung und sei nur die dunkle Seite Gottes selbst. Kein Wunder, daß, wer solches schwätzte, verbrannt wurde! Ihm schwirrte der Kopf. Er mußte aufhören, wollte es gar nicht so genau wissen. Denn wenn einer erst im Glauben irr würde…
Er lenkte seine Schritte zurück zur Gaststube, obwohl er nicht recht wußte, was er dort sollte. Nach Feiern war ihm nicht mehr zumute. Er wußte ja noch nicht einmal so recht, was er von Agnes wollte, während er den Verdacht hegte, daß sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte. Peter hingegen mußte sich eingestehen, daß er noch keine rechte Einstellung zum schönen Geschlecht gefunden hatte. Da waren zwar heftigste Verlockungen, aber hatte nicht Pater Innozenz in der Klosterschule stets das Weib als Gefäß allen Übels bezeichnet und davor gewarnt? Hatte er nicht selbst genug Ehen beobachtet, die eher einem Kreuzzug glichen, als liebender Fürsorge füreinander? Als er vor fast zwei Jahren in die Stadt gekommen war, da hatte er in der Herberge des Maenhartbräu Unterkunft gefunden und wohnte seither dort zur Miete. Agnes’ Mann war kurz zuvor verstorben, und sie nahm es dankbar an, daß Peter ihr manchmal zur Hand ging, Besorgungen abnahm und ihr mit seiner Gesellschaft über den Verlust des Maenhart ein wenig hinweghalf. Auch die Buben hatten ihn bald ins Herz geschlossen und hingen an ihm. Und immer häufiger schlich er auf dem Weg zu seinem Lager mit pochendem Herzen an der Kammertür vorbei, hinter der die Versuchung lauerte.
Peter hörte schon von weitem die grölenden Zecher. Er würde jetzt einfach hineingehen, entschlossen auf die Agnes zugehen und…
Aber die Kinder. Und die Agnes ist ja auch viel älter. Dann fiel ihm ein, daß er doch eigentlich gar kein Wirt sein wollte, und und und…
Er sprach sich innerlich Mut zu, als er die Gaststube wieder betrat. Hier sah es inzwischen aus wie in König Attilas Hunnenzelt. Der Zunftmeister und Paul hatten die Geschichte von Jakob sicher schon erzählt. Aber außer vielleicht kurzer Betroffenheit hatte die Nachricht offenbar wenig bewirkt.
Zuhinterst am Ecktisch drängten sich der Wast, der Schuster und Gottschalk, der sich noch immer die Beule rieb, verschwörerisch zusammen. Sie tuschelten, grinsten ab und zu herüber und erheiterten sich nun ihrerseits über das närrische Treiben der Flößer, von denen einige schon kaum mehr aufrecht stehen konnten. Ein Triumvirat der Verachteten, Gehänselten und Geplagten, deren Bedürfnis nach Rache gefährlich war wie Zunder am
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