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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Heu.
    Peter saß etwas verloren da, während sich die anderen zuprosteten, ihre grobe Kraft beim Fingerhakeln und Armdrücken maßen, unter den Tisch kotzten oder bei all dem Krach einfach auf der Bank schliefen.
    Agnes kam mit einem frischen Becher auf ihn zu. »Gefällt’s dir nimmer?«
    »Nicht so recht.«
    »Ist doch dein Namenstag.«
    »Schon, aber mir geht der Jakob nicht mehr aus dem Kopf.«
    »Trink! Bringt dich auf andere Gedanken. Ich hätt’ da auch noch ein Geschenk für dich.«
    Peter schaute sie fragend an.
    »Bist nicht neugierig?«
    »Freilich. Wo soll’s denn sein?«
    »In meiner Kammer. Mußt es dir holen und selbst auswickeln.« Agnes grinste schelmisch und verschwand mit wiegenden Hüften im Hausflur.
    Es dauerte den Augenblick eines Ochsenschreis lang, ehe ein verstehendes Lächeln über Peters Gesicht huschte und er sich selbst versicherte: »Ich werd’s mir holen. Ganz bestimmt!«

4. Kapitel
     
    Der helle Klang einer Glocke weckte Peter im Himmel der Glückseligen, während Paul, der auf einer Bank in der Gaststube mit dröhnendem Kopf erwachte, sich in der Hölle wähnte. Elsbeth, die Magd, fegte schon seit geraumer Zeit den Boden um ihn herum. »Einen recht schönen guten Morgen«, zwitscherte sie und lächelte den arg zerknittert aussehenden Paul mitfühlend an.
    Oben rekelte sich Peter wohlig und tastete mit der Hand neben sich. O himmlische Wonne! Welch prächtiger Leib und Zartheit der Haut! Herrgott, ich steh’ von diesem Lager bis in alle Ewigkeit nicht mehr auf!
    Seine Hand verfing sich in wuscheligen Locken, und silberhelles Lachen ließ ihn blitzartig die verträumten Augen aufschlagen. Der vierjährige Heinerl war zu ihm aufs Bett gekrabbelt und hatte ihn lauernd von der Seite beobachtet. Und kaum hatte Peter die Augen geöffnet, als der Knabe auch schon rittlings auf ihm saß und ihm die Sporen gab: »Hopphopphopp, du faules Pferd! Ich bin der böse Ritter Heinrich. Bring mich auf meine Burg!«
    Peter lachte schallend und hob den Knirps hoch. »Der böse Ritter Heinrich fällt jetzt in den Graben und wird vom Drachen Zauselmaul gefressen.«
    Nachdem sie eine Weile herumgealbert hatten, fragte Peter erschöpft: »Was tust du denn schon hier?«
    »Ich will dich warnen«, flüsterte der Knabe verschwörerisch.
    »Wovor?«
    »Krieg ich dafür auch einen Apfel?«
    »Ja, du Raubritter«, lachte Peter, »nun sag schon!«
    »Mutter sagt, du mußt heute zum Gericht, weil du verurteilt wirst und dann kommst du…«
    »Gütiger Gott!« unterbrach Peter das fröhliche Geplapper. Der Glockenklang hatte nicht neue himmlische Freuden eingeläutet, sondern war die Ratsglocke, die ganz irdisch zur Gerichtssitzung rief. Und gleich würde sie zum zweiten Mal ertönen. Dann war es höchste Zeit.
    Peter stürzte förmlich aus dem Bett. Während er damit kämpfte, das Wams zu schnüren und die Beinlinge daran zu befestigen, stiegen abwechselnd Schamgefühl und Glückseligkeit in ihm auf, je nachdem, ob er an den armen Jakob dachte, den er völlig vergessen hatte, oder sich nochmals die herrliche Prüfung vorstellte, die er in den zärtlichen Armen seiner Lehrmeisterin glorreich bestanden hatte. Er schlüpfte in den gelben Rock und mühte sich fieberhaft, die schier endlose Knopfleiste zu schließen, was ihm nur unzureichend gelang. An den Ärmeln versuchte er es erst gar nicht. Der stattliche junge Herr vom Vortag sah aus wie ein zerzauster Pirol, der gerade noch einmal der Katze aus dem Maul gehüpft war.
    Trotz Peters Eile mahnte der kleine Heinrich tapfer seinen Apfel an.
    »Später, Heinerl, auf Ehr und Seligkeit!« Peter schlüpfte in die Schuhe, fegte zur Tür hinaus und stürzte die Treppe hinunter in den Schankraum. Dort hatte Elsbeth zwar schon großartige Arbeit geleistet, aber trotz der weit geöffneten Läden stank es immer noch entsetzlich. Die meisten Zecher hatten sich entweder noch am Abend nach Hause gewagt oder waren bei Tagesanbruch hinausgefegt worden. Über den Rand einer schon abgeleerten Tischplatte starrte den hastenden Peter mit vor Schmerz zusammengekniffenen Augen ein Gespenst an. »Nicht so laut«, flehte es erbärmlich. Der Stimme nach mußte es Paul sein.
    Peter schob ihn gnadenlos von der Bank. »Auf, du verschlafener Säufer! Wir müssen zum Rathaus.«
    »Wirft mir das Saufen vor, während der feine Herr die Wirtin beglückt«, grummelte Paul, der jetzt immerhin schon die Fakten ordnen konnte. Als er endlich stand, war an seinem Rock die gesamte Speisekarte des

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