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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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gebrüllt hat er. Und wie mir der Herr Pütrich zu Hilfe kam« – sie lächelte zu ihm hinüber und knickste nochmals kokett –, »da hat sich der da wie der leibhaftige Gottseibeiuns auf ihn gestürzt und den Herrn Kaufmann gewürgt, daß es mich ganz entsetzlich gegraust hat, und dem Herrn Pütrich sind schon die Augen aus dem Kopf getreten und da…«
    »Seht Euch den Mann einmal genau an!« unterbrach der Ratsvorsitzende unwirsch, »glaubt Ihr, der könnte jemanden so würgen, wie Ihr sagtet?«
    »Naja, also gefährlich sah er schon aus, wie er so dastand und geschrien hat und…«
    »Schluß jetzt mit diesem unseligen Schauspiel!« Tulbeck war verärgert. Er war ja den Argumenten Pütrichs höchst geneigt, aber auf den Arm nehmen lassen wollte er sich nicht.
    Walburga schlich unter den giftigen Blicken des alten Pütrich heulend in die Menge zurück, die sie auch noch nachäffte, indem die einen ungelenk knicksten und andere mit den Fingern eine schnatternde Gans imitierten.
    Die Sachlage schien eindeutig zu sein, denn es dauerte kaum länger als die Spanne, die Paul gewöhnlich für die Vertilgung eines Stück Bratens nebst einem Humpen Bier benötigte, bis der Rat zu einem Urteil gekommen war.
    »Im Namen des allerhöchsten und ehrenwerten Rates der Stadt München ergeht folgender Spruch: Den Floßmeister Jakob Krinner, aus Wolfratshausen stämmig, trifft nach eingehender Prüfung nicht der Vorwurf unziemlichen oder gar räuberischen Übergriffs auf den Kaufmann und ehrenwerten Rat Heinrich Pütrich. Für das Auftreten und den erhobenen Vorwurf des Mordversuchs eines gewissen Roland, keinem der Anwesenden bekannt, ist der Beklagte einen hinreichenden Beweis schuldig geblieben. Es gilt somit als erwiesen, daß der Ferge durch grobe Mißachtung zünftiger Regeln und durch eigenes Verschulden den Kaufmann um Hab und Gut gebracht und ihn schwer geschädigt hat. Die Flößerordnung verlangt hierfür die Stadtacht, bis der Beschuldigte die Huld des Geschädigten wieder erlangt hat. Das Urteil ist allsogleich zu vollstrecken. Die Sitzung ist hiermit geschlossen.«
    Jakob war kreidebleich. Er würde den Kaufmann nie entschädigen können, denn es handelte sich ja nicht nur um ein verlorenes Faß oder geringfügig zerbrochenes Gut, sondern um ein vollständiges Floß mit der gesamten Ladung. Und selbst dann nicht, wenn das eine oder andere noch zu retten wäre, worauf wenig Hoffnung bestand. Somit konnte der Richterspruch nur bedeuten, daß er auf Lebenszeit die Stadt nicht mehr betreten durfte, ohne mit fürchterlicher Bestrafung rechnen zu müssen.
    »Das, das könnt Ihr nicht wollen«, stammelte Jakob verzweifelt. »Ich fleh’ Euch an bei Gottes Barmherzigkeit und dem Leben meiner Kinder. Ihr wißt, was dies bedeutet. Verlangt, was Ihr wollt, und ich will versuchen es zu beschaffen, aber ruiniert mich nicht!«
    Der knorrige Alte stand hocherhobenen Hauptes und mit verschränkten Armen da, abweisend, gnadenlos. Zufrieden und selbstgerecht beschied er Jakob: »Ihr habt es Euch selbst zuzuschreiben!«
    »Und Ihr?« Jakob schaute flehentlich auf den jüngeren Pütrich. Doch der blickte verlegen zur Seite, sagte nichts.
    Die Knechte des Richters nahmen den Gedemütigten sogleich in ihre Mitte und drängten zum Ausgang. Die Menge wich schweigend zurück. Auf der Stiege zum Rathaus hielten die Knechte nochmals kurz an, und einer verlas Urteil und Begründung, für alle vernehmlich. Es war um die Mittagsstunde und glücklicherweise hatte sich das Markttreiben schon etwas gelichtet. Dennoch strömte noch eine Unzahl Gaffer herbei, um dem Schauspiel beizuwohnen. Und sie bekamen es, denn Jakob richtete sich plötzlich noch einmal zu voller Größe auf und schrie mit aller innerer Kraft, deren er noch fähig war: »Pütrich, ich verfluche dich für das Unrecht, das du mir angetan! Du sollst fürderhin keine Freude mehr haben und deiner Lebtag keine Ruhe mehr finden. Der Herr soll dich, deine Nachkommen und deren Kinder mit Plagen überhäufen und dich vernichten, so wie du mich vernichtet hast!«
    Der Fluch schallte über den Marktplatz, in die angrenzenden Gassen hinein und bis hinüber zur Burg. Die Menge erschauerte. Pütrich konnte noch von Glück reden, daß Jakob nicht der Strafe durch den Henker unterzogen wurde, denn der Fluch eines Todgeweihten war von fürchterlicher Kraft.
    Die Knechte stießen Jakob vorwärts. Er taumelte und schien jetzt völlig entrückt zu sein und kaum mehr etwas wahrzunehmen von dem, was um

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