Der Wachsmann
nicht einfach fort? Weil ihm wohl auch das Geld wichtiger ist als die Ehr’. Ach, mir ist das ganze Pack gleichgültig.« Paul sog genießerisch die Bratendüfte ein, die aus der Wirtsstube entgegenwehten. »Das sind die wahren Argumente, und schon bin ich überzeugt!«
Peter streckte klaglos die geistigen Waffen vor dem Angriff fleischlicher Gelüste und schob den Freund lachend durch die Türe zur Gaststube.
Anstelle des üblichen fröhlichen Lärmens beherrschte ungewohnte, ja fast unheimliche Stille den Raum. Seit dem Urteil waren Wut und Enttäuschung unter den Flößern zu spüren, aber mehr noch tiefe Betroffenheit. Und der Gewissenswurm nagte, ob sie den Jakob nicht irgendwie im Stich gelassen hatten. Er stammte zwar aus Wolfratshausen und doch war er einer von ihnen. Schließlich konnte schon morgen einem jeden, der den wilden Fluß befuhr, ähnliches widerfahren.
Nur im Schatten des Ecktisches herrschte eitel Freude über die Flößer, die wie ein Häuflein armer Sünder beisammensaßen. Schuster, Pfaffe und Zuschenk hüteten sich jedoch, ihrer Schadenfreude lauthals Ausdruck zu verleihen.
»Jetzt, wo es einen von ihnen erwischt hat, sitzen sie ganz maulfaul und betreten da«, tuschelte der Wast.
»Man müßte viel öfter dreinfahren und das Pack zur Ordnung rufen«, flüsterte der Schuster seine Zustimmung.
»Der Herr ist mein Zeuge, daß ich niemandem Böses will«, schickte Gottschalk vorsichtshalber voraus, »aber die Strafe war doch viel zu mild. Bestohlen hat dieser Kerl meinen Herrn und das nicht zum ersten Mal. Die frevlerische Hand hätten sie ihm abschlagen und ihn danach aufhängen müssen. Sagt nicht die Schrift, wer…«
»Pssst, nicht so laut!«
»Halt’s Maul, Gottschalk! Oder willst du uns die Brüder auf den Hals hetzen?«
Der Schuster und der Wirt konnten den Kaplan gerade noch stoppen, bevor der wieder zu einer endlosen Bußpredigt anhob.
Als Agnes einen halben Eimer in die Runde stellte, waren die Flößer bald von ihrer Trübsal kuriert, und der Rest von Melancholie, der schwarzen Galle, die Schwermut bewirkte, löste sich im heilenden Gerstensaft auf.
»Ich frag’ mich ja schon«, lenkte Peter nach einer Weile auf ernsthaftere Überlegungen hin, »was das nun wirklich für ein Riese war, von dem der Jakob gesprochen hat. Nicht, daß ich ihm nicht glauben würd’, aber seltsam klingt’s allemal.«
»Vielleicht war’s ein Berggeist oder Dämon, der in die Gestalt eines Riesen schlüpfte«, gab Benedikt zu bedenken. »Und nach seiner Untat, da hat er sich einfach verflüchtigt. Drum hat man auch nichts gefunden von ihm.«
»Hat denn überhaupt einer nach ihm gesucht?« warf Paul lakonisch ein.
»Bei Baierbrunn, da haust doch eine gefährliche Wassernix. Vielleicht hat die den Jakob verhext, daß er die Herrschaft übers Floß verloren hat.« Mathes verstand sich als Fachmann für alles Überirdische und Numinose, weil seine Großmutter Hebamme gewesen war und Natur und Heilkraft der Kräuter gekannt hatte.
»Ich glaub’ ja, daß hier viel irdischere Geister die Hand im Spiel hatten«, argwöhnte Peter.
»Ja, genau«, ließ sich der Michl vernehmen. »Wenn es wahr ist, was die Leute sagen, daß der neidische Friedrich und sein tollwütiger Bruder Leopold wieder kriegslüstern sind, dann stecken doch bestimmt die Österreicher dahinter.«
»Ja«, pflichtete Mathes sofort bei, »und der Friedrich hat auch einen magischen Ring, mit dem er Dinge herzaubern und verschwinden lassen kann.«
»Von wegen Ring«, widersprach Alois dem geisterkundigen Mathes, »glaubst du vielleicht, der Ludwig hätte keinen Zauber in der Hinterhand? Erstens ist er der rechtmäßige König und zweitens, wer hat denn in. Gammelsdorf den Nebel aufziehen lassen, damit unsere Leute die Österreicher umgehen und völlig verwirren konnten? War das vielleicht ein Spukteufel oder war’s Ludwig, der in Gottes Gnaden steht?«
»Aber wozu soll es denn gut sein, wenn die Österreicher unsere Flöße abfangen?« fragte Benedikt unbedarft.
»Bist du denn blind? Was siehst du, wenn du rausschaust zur Isar?« Michl, der sich für den gewitztesten Strategen hielt, gab auch gleich selbst die Antwort: »Ein riesiges Loch siehst du, das die Herren Ritter geradezu einlädt, in die Stadt zu spazieren. Ohne Steine und Holz keine Mauer, ohne Mauer kein Schutz, ohne Schutz – gute Nacht, schöne Heimat!«
Benedikt stand der Mund offen ob der rasenden Schlußfolgerung. Aber auch andere hatten ihre Mühe damit.
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