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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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einmal ihr Mann gewesen war. Nein, es waren zwei reglose Körper, zwei irdische Wohnstätten, die etwas Größeres beherbergten. Der Zustand der Körper spielte dabei keine Rolle. Deren Seelen waren augenblicklich vereint. Das geistige Wesen von Lies war auf geheimnisvolle Weise irgendwo zwischen den Sphären mit dem unsterblichen Anteil von Jakob vereint. So mußte es sein, und Peter glaubte ein wenig zu spüren von der unsichtbaren Kraft, die beide zusammengehalten hatte und immer noch aufs engste verband.
    Nach einer Weile, die Peter einer kleinen Ewigkeit gleichzukommen schien, regte sich Lies und kniete am Kopfende des Sarges nieder. Sie führte ihre Rechte zum Mund, drückte einen Kuß auf ihre Fingerspitzen und strich mit ihnen zärtlich über Jakobs kalte Lippen. Ohne eine Spur von Zittern glitten ihre Finger über sein Haar, ordneten hie und da liebevoll eine Strähne. Dann ergriff sie mit beiden Händen das Tuch, das der Scherge so grob zerrissen hatte, und bedeckte den Leichnam Jakobs wieder, so gut es ging. Sie legte ihren Arm auf den Rand der Kiste, bettete ihren Kopf darauf und verharrte so erneut in stillem Gedenken, während nun auch die Frauen des Ortes hinzutraten und vorsichtig Wiesenblumen und Kräuter in den Sarg streuten, deren frischer Duft ein wenig den schrecklichen Geruch des Todes verdrängte.
    Perchtold wurde inzwischen immer zappeliger, trat von einem Bein auf das andere und zog Peter wiederholt am Kittel. Für ihn wurde die Untätigkeit quälend, die stille Trauer erdrückend, und außerdem verspürte er ein scheußlich nagendes Hungergefühl, denn es war schließlich schon Nachmittag. Obwohl noch ganz gefangen von der Szenerie, hatte Peter ein Einsehen mit den kindlichen Bedürfnissen und ließ sich von Perchtold nach draußen ziehen. Dort hockte er sich erst einmal auf die Stufe, die zum Portal führte, zog den Knaben zwischen seine Beine und erklärte feierlich: »Ich danke dir, mein Retter. Was würde ich nur ohne dich tun.« Sie fielen sich lachend um den Hals, und es war schwer auszumachen, wer von beiden der Glücklichere war.
    »Komm, laß uns nach einem Teller Suppe suchen mit der größten Wurst, die es gibt!«
    Als sie zurückkehrten, stand Lies unter dem Portal und hielt bereits Ausschau nach ihnen. Sie ging Peter ein paar Schritte entgegen, reichte ihm beide Hände und sah ihn mit dankbarem Lächeln an.
    »Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, Euch für Eure großmütige Tat zu danken. Wollt Ihr mir die Ehre erweisen, mein Gast zu sein?«
    »Ich… ja, eigentlich…« Peter war reichlich verlegen.
    »Bitte.«
    Sie schaute ihn mit ihren dunklen Augen so eindringlich an, daß etwas in ihm schon freudig ja sagte, noch bevor seine Lippen das Wort formen konnten. Er folgte seiner inneren Stimme, zu der sich freilich schon wieder Bedenken gesellten: »So Ihr es wünscht. Aber…«
    »Habt keine Angst! Ich werde Eure Zeit nicht ungebührlich in Anspruch nehmen, doch bitt’ ich Euch, daß Ihr mir noch ein wenig von den Ereignissen erzählt.«
    »Das will ich gerne tun.«
    »Komm, kleiner Held!« Lies streckte Perchtold die Hand hin und schlug den Weg nach Hause ein.
    »Ihr habt einen tüchtigen Sohn«, begann Lies das Gespräch.
    Peter schaute sie so verwundert an, als hätte sie ihn auf babylonisch nach den Geheimnissen der Gestirne befragt.
    »Oh, er kam ganz aufgeregt und flehte: Ihr müßt meinen Vater retten!« fügte sie erklärend hinzu.
    »Er ist nicht mein Sohn, das heißt, nicht eigentlich…«
    »Bitte«, unterbrach ihn Lies, »Ihr braucht mir nichts zu erklären. Ihr beide wirktet nur so vertraut, und Ihr würdet gut als Vater zu dem Knaben passen.«
    Lies lächelte und ging schweigend ein paar Schritte weiter, während Peter in Gedanken dem Schelm den Hintern versohlte.
    »Jakob war so stolz auf seine Söhne. Und der Älteste wird bestimmt ein tüchtiger Flößer.« Wieder trat eine kleine Pause ein, in der Peter wünschte, daß der Junge mehr Glück habe als sein Vater, und Lies überlegte, ob sie selbst wohl froh darüber sein würde, wenn er den Beruf des Vaters ergriffe. Mittlerweile hatten sie den kleinen Hof erreicht, und Lies bot Peter einen Platz auf der Bank vor dem Häuschen an. Sie holte einen Krug Wein und zwei Becher, bevor sie die Unterhaltung wieder aufnahm.
    »Ihr wart ein Freund von Jakob?«
    »Wir alle kannten den Jakob gut«, antwortete Peter etwas ausweichend. »Er war ein erfahrener Ferge und zu jedermann freundlich. Ich hatte mit ihm zu tun in

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