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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Christenmensch nichts zu tun haben sollte. Vielleicht ist es aber auch nur eine Prophezeiung oder eine geheimnisvolle Botschaft, deren Sinn sich jetzt, zumal Worte fehlen, leider noch wenig erschließt. Aber da ich sicher bin, daß Jakob mit solchen Dingen nichts zu tun hatte – er hat selbst meine bescheidenen Künste stets ein wenig belächelt –, kann ich daraus nur schließen, daß sich jemand des Jakob, vielleicht sogar seines Todes, bedient hat. Seid vorsichtig! Ihr habt es mit einem gefährlichen Gegner zu tun. Er ist skrupellos, gerissen und gemein und betreibt vermutlich schwarze Magie. Ich bitte Euch« – sie legte fast beschwörend ihre Hand auf die seine –, »gebt gut auf Euch acht!«
    »Das werd’ ich. Aber ich fürchte, ich muß Euch auch enttäuschen. Ich bin nicht mit einer Untersuchung betraut. Der Richter gab mir sogar zu verstehen, daß er nicht wünsche, daß die Sache öffentlich als Mord verfolgt werde.«
    »Oh, und ich dachte…« Lies zog fast erschreckt ihre Hand zurück.
    »Aber das kann mich nicht davon abhalten, meine Augen und Ohren offenzuhalten.«
    Peter rief jetzt Perchtold zu, er möge sich noch um die Pferde kümmern, die bisher brav ausgehalten hatten.
    Unterdessen schenkte Lies noch einmal die Becher voll. »Ich habe nichts, womit ich Euch danken könnte. Außer Ihr erlaubt mir, mich meiner Gaben zu bedienen.«
    Peter lächelte unschlüssig und zuckte mit den Schultern. Er wußte nicht recht, was er sich unter ihren Gaben vorzustellen hatte.
    Lies ergriff nun seine beiden Hände, besah sie eine Weile angestrengt von außen und innen und fuhr mit den Fingerspitzen einzelne Linien nach. Danach schaute sie ihm lange in die Augen, so daß Peter fast Mühe hatte, ihrem Blick standzuhalten. Er fühlte die Weichheit und Wärme ihrer Hände, war gebannt vom Zauber, der über ihren tiefgründigen Augen lag und spürte eine merkwürdige Kraft, die von dieser kleinen Person ausging.
    »Wißt Ihr die Stunde Eurer Geburt?«
    »Nein.«
    »Schade. Doch auch die Kunst der Chiromantie verrät einiges. Euer kleiner Finger und der Hügel davor sind gut ausgeprägt. Seht Ihr die kräftige Linie, die zum Handansatz führt? Mercurius ist Euer Lenker. Er verleiht Euch Jugend, Leichtigkeit und flinken Geist. Ihr habt dabei die Wahl, ob Ihr ihm als dem Gott des Kaufmanns und der reichen Münze huldigt oder ob Ihr Euch statt dessen reichen Schatz an Wissen erwerbt. Mir scheint, Ihr habt Euch diesbezüglich schon entschieden. Ihr seid reich mit des Verstandes Gaben und mit guter Urteilskraft gesegnet. Und Eure Waffe ist mehr das Wort, als kalter Stahl.«
    Peter grinste vergnügt. Er fand Gefallen an den Gaben dieser Frau.
    Lies schien seine Gedanken zu erraten. »Oh, auch gute Anlagen wollen erst entwickelt sein. Der Sämling kann unterm Dornbusch verkümmern, ehe er Frucht trägt, und manch Talent wird mehr verschleudert, als gemehrt.«
    Eine leichte Rötung überzog Peters feine Gesichtszüge.
    »Gebt acht«, fuhr Lies unbeirrt fort, »daß die Freude an wortreicher Auseinandersetzung nicht einem Hang zu beißender Kritikwut weicht. Auch seid Ihr in Gefahr, Euch rastlos zu verlieren, und Mutlosigkeit verdrängt dann bald Lebendigkeit und Kraft. Pflegt deshalb auch die Ruhe, schont den Atem, übt auch Beständigkeit und dauerhaftes Dulden! Ihr werdet reich an Jahren sein, und zahllos sind die Menschen, denen Ihr begegnet. Ihr wißt sie meistens für Euch einzunehmen, und manches Herz schlägt mehr für Euch, als Ihr erwidern mögt. Doch rasch entflammt, folgt zarten Banden unendlich schwer ein Schwur der Treue. Obgleich die Zweiheit Euch im Wesen liegt, seid Ihr kein Freund von fester Bindung. Dort, wo Merkur zu stark regiert, herrscht nüchterner Geist und kümmert das Gefühl. Doch so Ihr beides recht verfolgt, entwickelt Ihr Euch trefflich.«
    Lies, die noch immer seine Hände hielt, schien fast in Trance und weit in eine andere Zeit vorauszublicken. Peter glühte inzwischen wie ein prächtiger Granatapfel und kämpfte, um seiner Verlegenheit Herr zu werden.
    »Ähem, ja, fast hätte ich es vergessen.« Er entzog sich sanft ihren Händen und nestelte an seinem Gürtel.
    »Der Kaufmann gab mir eine Börse, die ich Euch überreichen soll, um aufkommende Not zu lindern.«
    Lies war jetzt wieder bei völliger Klarheit. »Sonderbar. Hat er sich gar ein Schuldgefühl geleistet?«
    »Er sagte etwas dieser Art. Und ich glaube fast, er meinte es ehrlich. Wobei ich nicht verhehlen will, daß manch einer es

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