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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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vermag ich weiß Gott nicht zu verstehen.«
    »Wir alle tappen noch im dunkeln, wie der Käfer im Mist. Aber vielleicht müssen wir auch ganz woanders suchen.«
    »Woran denkt Ihr?«
    »Jakob trug zwei seltsame Schriftstücke bei sich, das heißt zumindest eines. Könnt Ihr Euch einen Reim darauf machen?« Peter holte die beiden Pergamentstücke aus seinem Wams und reichte sie Lies. Die warf einen flüchtigen Blick darauf und gab sie mit einem entschuldigenden Lächeln gleich wieder zurück. »Hättet Ihr die Güte, sie mir vorzulesen?«
    Peter las die erkennbaren Worte des geheimnisvollen Textes und gab zum zweiten nur an, daß es sich wohl um einen lateinischen Psalm handle.
    »Eines weiß ich gewiß«, beteuerte Lies sogleich, »in diesem Text, da ist die Rede von Rache und Fluch. Das hat mit Jakob nichts zu tun. Das war nicht seine Art. Und wenn er irgend jemand als Bote diente, dann nicht wissend, höchstens aus Gutmütigkeit.«
    Seid Ihr Euch da so sicher? hätte Peter beinahe gefragt. Er dachte plötzlich an den schrecklichen Fluch vor dem Gerichtssaal. Trug nicht vielleicht jeder eine dunkle, verborgene Seite in sich? Und wozu mochte ein Mensch fähig sein, der in seiner Verzweiflung zum Äußersten getrieben wurde.
    »Woran denkt Ihr?« forschte Lies, die Peters Zögern bemerkt hatte.
    »Hm, ich frage mich, ob die üble Geschichte vorhin am Tor nur der Dummheit und Bosheit der beiden Wächter zuzuschreiben ist, oder ob der jahrelange Bruderzwist der Herrschenden selbst den kleinen Mann schon so vergiftet und verrückt gemacht hat.«
    »War es nicht zu allen Zeiten so, daß jeder seinen Vorteil sucht? Ich glaube, daß sie nicht wirklich böse sind, sondern nur wankelmütig und leicht zu beeinflussen. Sie sind wie Kinder…«
    »Na, ich danke schön.« Peter fuhr sich mit der Linken unwillkürlich an den Hals.
    »…wie die Kinder«, fuhr Lies milde lächelnd fort, »doch, doch, im Denken schon, nur ihre Spiele sind meist noch gefährlicher und grausamer. Sie danken mir heute für eine Arznei oder eine glückliche Geburt und werden mich morgen verfluchen oder verbrennen, wenn sie ein hartes Schicksal nicht annehmen wollen. Sie jubeln ihrem Herrn heute zu und stoßen ihm morgen den Dolch zwischen die Rippen, nur weil ihnen ein anderer mehr und Besseres verspricht. Heute ›Hosianna!‹, morgen ›Kreuzige ihn!‹. Und heute mittag mußtet Ihr als unglücklicher Spielgefährte herhalten. Doch verzeiht meine Geschwätzigkeit. Was wolltet Ihr vorhin sagen?«
    »Nun, der Streit zwischen den fürstlichen Brüdern hat landauf, landab zu Parteiungen geführt, und Wolfratshausen dürfte wohl weitgehend unter dem Einfluß Rudolfs stehen. Könnte es da nicht sein, daß Jakob, ob er nun wollte oder nicht, in irgendeine Sache hineingezogen wurde. Hat er je von Dingen dieser Art gesprochen?«
    »Es gab wohl einmal eine Auseinandersetzung innerhalb der Zunft, als sich ein paar Übereifrige, die auf Rudolf setzten, dafür aussprachen, die Fahrten nach München auszusetzen. Doch als sie erkannten, daß sie dadurch nur den Tölzern und den Flößern aus Lenggries dienten, die das Geschäft sogleich an sich rissen, da war der Spuk schnell vorbei. Und es gibt sicherlich etliche Familien hier, die einen Vater oder Sohn beklagen, der im Kampf gegen Ludwig sein Leben ließ. Doch dies ist alles Jahre her. Mag auch vereinzelt noch der Haß tief sitzen, so wünschen doch die meisten nichts sehnlicher als Frieden und bescheidenen Wohlstand und dabei ist es ihnen egal, ob Rudolf oder Ludwig das Zepter schwingt.«
    »Aber der Wächter…«
    »Der ist ein aufgeblasener Narr, der am Tor die Schlachten schlägt, die er zu Hause verliert. Ich kann Euch nicht sagen, ob der Herzog in Worms oder Heidelberg Zuflucht gefunden hat oder ob er in Wien mit den Habsburgern Ränke schmiedet. Aber jedermann hier weiß, daß Rudolf schon vor Monaten seine Burg verlassen hat und seither in dieser Gegend nicht mehr gesehen ward. Es heißt außerdem, er sei schwer krank. Nein, mit Zwistigkeiten dieser Art hatte Jakob nie etwas zu tun.«
    »Schade.«
    Lies sah Peter fragend an.
    »Ich meine natürlich, schade, daß Ihr mir nichts berichten könnt, was Licht in das Dunkel brächte und sei es auch nur ein Fünkchen.«
    »Wartet! Ich weiß nicht, ob Euch damit geholfen ist, aber die Worte, die Ihr mir vorgelesen habt, sie klangen wie eine Beschwörung, freilich wie eine, die einem Malefizium gleichkommt, womit ein tugendhafter und gottesfürchtiger

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