Der Wachsmann
sich jedenfalls nicht mehr in dem Beutel, als ich in Augsburg war.«
Der Dicke fuhr sich erregt und fahrig mit den feisten Händen durch das schüttere Haar.
»Ich hab’s ja gleich gesagt, nur wollt’s mir keiner glauben. Ich hab’ dich von Anfang an für den Trottel gehalten, der du offensichtlich bist. Verliert einfach die Nachricht, dieser Narr. Als wär’s irgendein Scherben oder nutzloser Tand. Weißt du überhaupt, was du damit angerichtet hast? Wenn die Nachricht in falsche Hände gerät, kann uns das alle an den Galgen bringen. Herr im Himmel, so ein gottverdammter Tölpel!«
Der forsche Ankläger wirkte plötzlich eher wie ein Häuflein Elend und faßte sich in ängstlicher Vorahnung schon prüfend an den Hals.
»Tu doch etwas! Steh nicht einfach so herum! Na los, durchsuche deine Kleider, deine Habe, den Wagen!«
»Sinnlos«, wehrte der Riese kopfschüttelnd ab. »Alles schon dutzendfach getan.«
»Gütiger Gott, wie sag ich’s bloß meinem Herrn? Gib mir wenigstens das Siegel zurück, eh’ du dies auch noch verlierst!«
Der gescholtene Riese ging zum Wagen, kramte eine Weile in seinem Bündel herum, holte schließlich ein ledernes Säckchen hervor und warf es mit verächtlicher Miene dem Dicken zu, der es hastig in einer Falte seines Gewandes zu verbergen suchte.
»Perchtold! Perchtold, wo steckst du? Komm, wir müssen fahren!«
Erschrocken sprang der feiste Knecht auf und versuchte den anderen in das rückwärtige Dunkel der Scheune zu zerren. »Versteck dich! Wir dürfen nicht zusammen gesehen werden.«
Perchtold hingegen kam die unerwartete Unterbrechung so gelegen wie den Israeliten die Teilung des Roten Meeres, und er brach durch die Strohballen und sprang mit zwei rettenden Sätzen nach draußen. Und wie vom Teufel gehetzt, kletterte er auch gleich auf den Wagen und löste die Zügel.
»Wo steckst du denn die ganze Zeit, du Schlingel?« schalt Peter, während er sich ebenfalls auf den Wagen schwang. »Jetzt hast du nichts gegessen und getrunken. Aber wir sollten machen, daß wir von hier fortkommen. Dies ist kein besonders gastlicher Ort.«
Perchtold hatte absolut nichts einzuwenden und zog für den Augenblick die Sicherheit zunehmender Entfernung der Beruhigung seines knurrenden Magens vor. Und keiner der beiden verspürte gegenwärtig auch nur die geringste Lust, dem anderen von seinem Abenteuer zu erzählen.
Es dauerte nicht lange, und sie erreichten die steile Abfahrt, die zum Kloster Schäftlarn hinabführte. Peter zügelte die Pferde und ließ sie nur sehr langsam weitergehen. Und jetzt erst wurde ihm so recht bewußt, daß sich tiefe Beklemmung um seine Brust gelegt hatte, sein Hemd naßgeschwitzt war und sein Herz noch immer bis zum Halse schlug – es war die nackte Angst! Peter hatte zuletzt das Gefühl, in einen Abgrund geschaut zu haben. Und obwohl zu befürchten stand, daß in Schäftlarn sein neugieriges Interesse an den unseligen Eröffnungen des zwielichtigen Doktors als verbotenes Tun mißbilligt würde, strahlten die gekalkten Mauern der Abtei schon von weitem einen eigenartigen Frieden aus. Es war wie die Rückkehr an einen sicheren Ort, an dem die Macht des Glaubens noch über den Stachel des Zweifels siegte, Eintracht über den Haß triumphierte und Schlichtheit den Hochmut in die Schranken wies. Die gemächlich grasenden Schafe unter den Obstbäumen, die weißgekleideten Chorherren, die zielstrebig, aber gemessenen Schritts ihrem Tagwerk nachgingen – alles wirkte noch vertraut. Obwohl fast fünf Jahre vergangen waren, seit Peter die Klosterschule verlassen hatte, erkannte ihn der Bruder Pförtner sogleich wieder, und wenig später stand er in der Bibliothek Bruder Guntram, seinem alten Lateinlehrer, gegenüber.
»Gelobt sei der Herr! Welche Freude, dich wiederzusehen, Peter. Willst du dein mäßiges Latein aufbessern oder bringst du uns einen neuen Schüler?«
Bruder Guntram schmunzelte vergnügt und reichte den beiden Gästen die Hand.
»Weder noch, verehrter Lehrer. Ich suche Euren Rat, da Ihr ein ausgewiesener Kenner der Wissenschaften seid.«
»Aah, du schmeichelst mir. Doch laß hören, was ich für dich tun kann.«
Peter deutete mit dem Kopf etwas hilflos in Richtung Perchtold. Der gelehrte Chorherr verstand den Wink und rief einen jungen Novizen herbei, der sich des Jungen annahm und ihn ein wenig durch die Ställe und den Garten führte. »Was hast du Schweres auf dem Herzen, mein Sohn, daß es nicht für die Ohren deines jugendlichen Begleiters
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