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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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geraten. Sie sind eine elende Landplage und Seuche, die nicht auszurotten ist. Dieses Nattern-und Schlangengezücht nährt sich am Busen der Kirche und ehrbarer Wissenschaft, aber anstatt rechtschaffen und eifrig zu studieren, frönen diese Parasiten dem Saufen und der Hurerei. Und in Bologna gar, ha, da tanzen die Herren Studenten ihren Lehrern auf der Nase herum. Wenn dieser angebliche Doktor auch nur eine responsio absolviert und nur eine öffentliche disputatio ehrbar bestritten hat, dann will ich barfuß nach Bologna wandeln und den Arsch des Golias küssen, dieses sonderbaren Schutzheiligen einer verkommenen Vagantenzunft. Sie betteln und schmarotzen in Klöstern und Pfarrhöfen, sind aber nicht mehr bereit, die Zucht eines angehenden Klerikers auf sich zu nehmen, ja nicht einmal mehr die Tonsur zu tragen. Schon das einfache Volk verhöhnt diese langhaarigen Gecken als Lotterpfaffen und ihr unzüchtiges Gebaren schadet der ganzen Kirche. Sie stehlen und betrügen, mogeln beim Würfeln und grölen schlüpfrige Lieder vom Dienste bei Frau Venus. ›Meum est propositum in taberna mori!‹ – welch lästerlicher Vorsatz!
    Peter wünschte inzwischen inständig, er hätte seine arglosen Fragen nie gestellt.
    »Und was ja fast noch schlimmer ist«, fuhr der Chorherr wie persönlich getroffen fort, »ihr Latein ist so zusammengewürfelt und gräßlich, wie das Aussehen des Basilisken. Und die paar Brocken, die sie irgendwo aufgeschnappt haben, reichen gerade hin, um schlichte Bauernburschen zu übertölpeln oder Einfaltspinseln und armen Narren wie dir das Geld aus der Tasche zu ziehen und ihnen Verrücktheiten in den Kopf zu setzen.«
    Peter griff instinktiv nach seiner Börse – sie war weg.
    »Dieser Schweinehund«, entfuhr es ihm.
    Bruder Guntram stutzte kurz, verstand aber sogleich und fuhr wesentlich milder gestimmt fort: »Dieser Lullus scheint mir doch ein rechter Esel vor dem Herrn zu sein, wenn er sich anmaßt, durch albernes Herumgeschiebe von Würfeln und Kreisen göttliche Wahrheit und Allmacht auszuloten. Doch wenn dieser gelehrte Narr den Vorgang der Transmutation negiert, wo doch jedes Kind schon erfährt, daß Wasser im Winter zu Eis wird, mithin also seine Gestalt ändert, dann heißt dies doch auch, das Wunder von Kana zu bezweifeln, bei dem Jesus Wasser zu Wein verwandelte. Und damit leugnet er letztlich das Wunder der Eucharistie, bei dem Brot und Wein in Wahrheit zu Leib und Blut Christi werden. Siehst du, mein Sohn, wohin all dies führt?«
    Peter stand da wie ein zerknirschtes Häuflein Elend, nicht nur wegen des Verlustes seiner Börse, sondern weil er sich nun ernstlich Sorgen machte, die Begegnung mit dem falschen Doktor sei sündhaft gewesen.
    »Und schließlich«, fügte Bruder Guntram noch hinzu, »maßte sich dieser Gaukler der Minoriten auch noch an, das Wort Gottes selbst zu korrigieren, was ihm zu Recht den Vorwurf der Ketzerei eintrug. Behauptete er doch, daß durch Christi Gnade fast alle in die ewige Seligkeit eingehen, während bei Matthäus unmißverständlich steht: ›Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.‹ Und der große Prediger Berthold berechnete das Verhältnis der Seligen zu den Verdammten mit eins zu hunderttausend. Ich sage dir, mein Sohn, noch mögen die Ketzer und falschen Pfaffen, die Gaukler und all das übrige Gesindel hohnlachen, doch dereinst wird ihr Gelächter in das Geschrei der Verdammten übergehen, während die Seligen sich an den Qualen ihrer Peiniger erfreuen!«
    Den zweiten Text mit den unvollständigen Versen wagte Peter hierauf gar nicht mehr vorzuzeigen in der Befürchtung, der gestrenge Chorherr könne ihn womöglich als Zauberspruch identifizieren und Peters arme Seele sogleich den rettungslos verlorenen Sündern zurechnen.
    Er hatte jetzt dringend eine Stärkung nötig und Bruder Guntram, der seine Philippika anscheinend selbst als ausreichend erachtete, klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Genug der ernsten Worte! Du wirst müde und hungrig sein. Der Tag ist auch schon fortgeschritten, und ihr kommt heute ohnehin nicht mehr nach München. Laß uns zur Vesper gehen und danach im Speisesaal das Abendbrot einnehmen. Für euer Nachtlager wird Bruder Hospitarius sorgen.«
    Auf dem Weg zur Kirche begegneten ihnen auch Perchtold und der Novize wieder. Mit Peters Andacht stand es nicht zum besten. Zu sehr beschäftigte ihn die Ermahnung seines alten Lehrers. Aber schließlich rechtfertigte er sich damit, daß nicht er der Versuchung

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