Der Wachsmann
schlagende Beweise aus dem Ärmel gezaubert hast.«
»Und deine prächtigen Lateinkenntnisse«, lachte Peter, »das hat ihm fast die Sprache verschlagen. Sagt, Meister Knoll, welche Universität habt Ihr besucht?«
»Ich muß gestehen«, räumte Paul vergnügt ein, »daß es der einzige lateinische Pfeil im Köcher meiner bescheidenen Wissenschaften ist. Doch gut gezielt, ist selbst ein einzig Bolzen tödlich.«
Als Peter gegen Abend in den Hof ging, um sich zu erleichtern, lief ihm Perchtold über den Weg. Peter gab ihm das Siegel zurück und versicherte: »Ich glaube, den Richter hat’s nicht interessiert. Kannst es haben, und ich hoffe, du wirst mehr Gefallen daran finden.«
Als zu vorgerückter Stunde das Bier seine Wirkung tat und in Peter anstelle von Ausgelassenheit zunehmend trübe Bilder hervorrief, fing er wieder an, einen Wall von Bedenken zu errichten, beklagte Leonharts Schicksal und erwog allen Ernstes, die Suche nach Jakobs Mörder aufzugeben. Noch vor wenigen Tagen hätte Paul sofort zugestimmt. Doch diesmal kam Peter bei ihm an den Falschen.
»Einen alten Bock hat er mich genannt«, wiederholte Paul schmollend immer wieder. »Einen alten Bock! Der soll mich kennenlernen!«
10. Kapitel
Am folgenden Tag war die Stimmung an der Lände äußerst gereizt und gespannt. Die Floßmeister und -knechte gingen Peter und Paul aus dem Weg, wo sie nur konnten. Die Ländgehilfen murrten bei jeder Anweisung. Kaufleute und Handwerksburschen, die Waren und Holz abholten, standen zusammen, tuschelten und warfen haßerfüllte Blicke auf die Pfleger. Doch jeder vermied ein klärendes Gespräch mit ihnen. Kein Zweifel: Trotz des wolkenlosen Himmels braute sich hier ein heftiges Gewitter zusammen. Und das war nicht dem welschen Wind favonius zuzuschreiben, den sie auch den Hexenwind nannten, weil er zwar den Himmel mit strahlendem Blau überzog, aber oft auch die Menschen im Land vor den Bergen gereizt und verrückt machte.
Am Spätnachmittag kam endlich der Hiltpurger auf Peter und Paul zu und erklärte, daß es einige Unruhe unter den Flößern gebe.
»Ist mir gar nicht aufgefallen«, bemerkte Paul trocken.
Hiltpurger seufzte, als sei auch ihm das Ganze zuwider und teilte mit, daß er für den Abend eine Zunftsitzung einberufen habe und die beiden Pfleger um ihre Anwesenheit bitte.
»Als was?« fragte Peter scharf. »Als Sündenböcke, als Zeugen – oder gar als Freunde?«
»Als verantwortliche Pfleger«, entgegnete der Zunftmeister ruhig. » Und als Freunde.«
»Na gut. An uns soll’s nicht liegen.«
»Nach der Vesper also.«
Früher als sonst fanden sich an diesem Abend die Zunftmitglieder im Hinterzimmer des Maenhartbräu ein, und noch ehe die Glocke zum dritten Mal rief, waren alle vollzählig versammelt: alle – bis auf einen. Die zwölf Meister der Münchner Flößerzunft saßen gewöhnlich um den großen Tisch in der Mitte des Raumes wie die Apostel beim Abendmahl. Ein Stuhl blieb heute leer. Doch es war nicht der Sitz des Verräters. Sein Inhaber war selbst Opfer und saß derzeit in der Schergenstube im Rathaus aufgrund falscher Anklage. Den wahren Schuldigen galt es erst noch zu ermitteln.
An der Stirnwand hinter dem gewählten Vorstand war auf einem Tisch die geöffnete Zunftlade aufgebaut, in der sich Rechtsbriefe und Siegel, Satzung und Rechnungsbücher befanden und in der auch die eingenommenen Gebühren und Strafgelder verwahrt wurden. Auf den Bänken entlang der übrigen Wände des Raumes reihten sich die Knechte, Lehrlinge und Gehilfen und manchmal auch Gäste. Doch die heutige Versammlung war nicht offen, drohte sie doch heftig und tumultreich zu werden.
Die Sitzung verlief schon von Anfang an ungewöhnlich, denn während ansonsten der Sprecher zu Beginn Mühe hatte, sich Gehör zu verschaffen und oft erst nach Androhung von Strafpfennigen Ruhe einkehrte, herrschte diesmal eisiges Schweigen. Ulrich Hiltpurger hatte gut daran getan, seine Mannen beim Eintritt besonders nachhaltig zu befragen, ob sie Wehr und Waffen trügen. Worauf sie dem Wast widerstrebend eine ansehnliche Sammlung von Messern und Dolchen zur Aufbewahrung anvertrauten.
Nachdem man ein paar allgemeine Zunftangelegenheiten erörtert hatte, ließ sich der Hauptgrund der abendlichen Zusammenkunft nicht länger verschieben, und schon bei der Erwähnung des Namens Jakob Krinner kam es zu lautstarken Protesten.
»Willst du noch mehr Unglück über uns bringen?« herrschte ein Zwischenrufer Meister Hanns, den
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