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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Und drittens, es war irgend jemand aus der Stadt, der in der Bluttat irgendeinen Vorteil für sich fand und der es fertigbrachte, sich auch nach dem Schließen der Tore heraus-und wieder hineinzubegeben.«
    »Aber dann steht ja die halbe Stadt in Verdacht«, schloß Benedikt entmutigt.
    »Wie nun«, ließ sich der Hainstetter wieder vernehmen, »wenn derjenige im Besitz der Hacke war, der zuletzt mit Jakob zu tun hatte?«
    Er hegte noch immer Groll über die vorherige rüde Zurechtweisung und holte nun zu einem hinterhältigen Rundumschlag aus.
    »Was willst du damit sagen?« forschte Kirchberger.
    »Es ist doch ganz einfach«, erklärte der andere mit fiesem Grinsen. »Der Herr Barth bringt aus Wolfratshausen oder von anderswo die Hacke mit und erschlägt zusammen mit diesem derben Klotz« – er deutete auf Paul – »hinterrücks den Peitinger, auf den die beiden mächtig wütend sind. Und dann wälzen sie die feige Tat auf einen von uns ab. So verhält sich das. Und deshalb sind sie auch so interessiert daran, daß es nicht der Wiedergänger war, sondern einer von uns. Da kommt ihnen der Leonhart gerade recht. Wenn’s nicht so war’, dann hätten sie längst beim Richter seine Freiheit erwirken können.«
    »Ihr überschätzt unsere Möglichkeiten, verehrter Herr Hainstetter, im Guten wie im Bösen«, gab Paul höhnisch zurück. »Auf jeden Fall ist es das Dümmste, was sei Adams Ja zur Schlange je einer gesagt hat.«
    Einen Augenblick lang befürchtete Peter, die Stimmung könnte wieder kippen. Doch inzwischen lehnte auch der Großteil der Flößer schon die wahnwitzige Argumentation ab, und Ulrich Hiltpurger äußerte stellvertretend für viele: »Laß es gut sein, Alois! Wir glauben den beiden. Sie haben bisher stets zu uns gehalten und uns nicht betrogen.«
    Peter war einen Augenblick lang versucht, auch von den seltsamen Texten zu berichten, unterließ es aber dann. Er konnte sich ja selber noch keinen rechten Reim darauf machen und hätte wohl oder übel auch zugeben müssen, daß er zwei der mysteriösen Pergamente verloren hatte. Nein, er wollte die Flößer nicht aufs neue verunsichern, wo er sie gerade wieder auf seiner Seite zu haben schien.
    So drehte sich im Folgenden die Versammlung hauptsächlich darum, wie dem Leonhart zu helfen sei.
    »Könnt Ihr nicht nochmals mit dem Diener reden?« ersuchte schließlich der Zunftsprecher die beiden Pfleger.
    »Ich fürchte», wehrte Peter ab, »der Richter ist augenblicklich nicht sehr gut auf uns zu sprechen. Aber vielleicht kommt er ja mit Gottes Hilfe selber noch zur Einsicht. Und niemand ißt das Mus so heißt, wie es gekocht wird. Wir werden jedenfalls alles tun, was uns möglich ist.«
    Mit der Übereinkunft, daß jedermann wachsam und hellhörig sei, daß die Flößer auf der Isar besagte Stelle mit erhöhter Vorsicht passieren sollten und daß nach Kräften für das leibliche Wohl des Leonhart gesorgt werde, um ihm die Haft wenigstens so leicht wie möglich zu machen, löste Ulrich Hiltpurger die Versammlung auf.
    Der folgende Tag war ziemlich verregnet, aber am Sonntag schien die Sonne wieder mit aller Kraft, als schäme sie sich für das schlechte Wetter vom Vortag. Peter nutzte die Gelegenheit des Ruhetags für einen Spaziergang, den er mit einem Besuch im Schäftlarner Klosterhof zu verbinden gedachte. Nach der Messe in St. Peter schlenderte er über den großen Marktplatz gen Westen, wo die Kaufingergasse begann. Sie verlief fast schnurgerade auf das gleichnamige Tor zu und war zu beiden Seiten von Häusern dicht gesäumt, die zum Großteil noch einfach aus Holz und Stroh errichtet und von Handwerksmeistern verschiedener Gewerbe belegt waren. Einige der Häuser waren auch schon recht prächtig gestaltet und teilweise aus Stein, hatten große Innenhöfe und reichten mit dem Rückgebäude gar bis zur nächsten Gasse. Sie gehörten den Reichen und Vornehmen der Stadt, und davon gab es immer mehr. Ein Haus stellte für Peter etwas Besonderes dar. Es war ein zweigeschoßiger Ständerbohlenbau, eine solide Zimmermannsarbeit aus fester Eiche. Es war nicht übermäßig groß, erschien aber geräumig. Die Fassade war schlicht und weitgehend schmucklos gehalten, nicht einmal durch Lauben aufgelockert. Für Peter war dieser Ort zugleich Hölle und Paradies, Objekt des Hasses und Ziel aller Sehnsucht. Es war das Haus der Familie Barth. Er hatte es ein einziges Mal betreten bei seiner Ankunft in München vor fast zwei Jahren und danach nie wieder. Während

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