Der Waechter
besondere Fähigkeit war: Sie war Heilerin und hatte sich um die anderen gekümmert, während Ruth bei Konrad war. Sie hatten beide ganze Arbeit geleistet.
«Hallo, meine Liebe», flüsterte Ruth von hinten in ihr Ohr.
In der Hand trug sie ein Tablett mit Kuchen und belegten Broten.
«Geht es dir besser?», fragte sie.
Jenny fiel Ruth um den Hals und brach in Tränen aus. Befreiende Tränen und Tränen der Dankbarkeit.
«Danke, liebe Ruth, dass du Konrad gerettet hast.»
Ruth balancierte das Tablett auf einer Hand, sah verkrampft darauf und tätschelte mit der anderen Jenny den Rücken.
«Aber ja doch, Liebes. Das ist doch selbstverständlich. Wenn ihr nur alle wieder munter seid. Aber jetzt komm herein. Wir haben was zu feiern!»
Es herrschte Stille, sobald Jenny bemerkt wurde.
«Hey Jenny!», brüllte Arthur und kam auf sie zugestürmt.
Er packte sie um die Taille, hob sie mit einem Ruck nach oben und schleuderte sie mit sich im Kreis.
«Da bist du ja endlich. Unsere Heldin!»
Fest drückte er sie an sich und ließ sie dann widerwillig herunter, nicht ohne ihr noch einen abschließenden Klaps auf den Po zu geben.
Jenny lächelte verlegen.
«Tolle, plärrende Heldin», sagte sie kleinlaut. «Ich verstehe nicht, was da passiert ist. Alles. Der ganze Tag. Was war das?»
Fragende Gesichter begegneten ihrem Blick.
«Aber Jenny», sagte Ruth. «Die Schlacht ist geschlagen. Alles ist gut.»
Sie fuhr Jenny tröstend mit der Hand über den Arm. Benedict kam langsam auf Jenny zu, blieb lächelnd vor ihr stehen, beugte sich zu ihr hinunter und zog sie wortlos in seine Arme. Sie klammerte sich verzweifelt an ihn. Er hielt sie fest und buckelte zu ihre hinunter, damit er seine stoppelige Wange an ihrer reiben konnte. Der Raum schwieg. Nur Jennys wiederkehrendes Schluchzen war leise zu vernehmen. Schließlich tauchte Aaron im Durchgangsbogen zwischen Ess- und Wohnzimmer auf. Sein helles Licht drang in Jennys Augenwinkel. Langsam löste sie sich von Benedict, trocknete sich die Tränen und zog die Nase hoch. Dann kramte sie nach einem Taschentuch in der Hosentasche und fand nichts. Stattdessen holte Benedict eines aus seiner Jeanstasche und reichte es ihr.
«Ich hab mir extra für dich einen Vorrat angelegt», sagte er mit schiefem Grinsen.
Jenny lachte zwischen zwei Schluchzern. Sie hatte tatsächlich in ihrem ganzen Leben zusammen nicht so viel geweint wie in der letzten Zeit.
«Wer‘s glaubt, wird selig», sagte sie schnäuzend. «Die sind für dein eigenes, heimliches Geflenne!»
Alle johlten und Jenny ging es ein wenig besser.
Aaron kam langsam auf sie zugeschritten und breitete die Arme aus.
«Das hast du gut gemacht, Jenny», sagte er und schloss sie in die Arme.
Eine Umarmung von Aaron war wie ein Bad in lichtvoller Wärme, beruhigend und beglückend.
Oh nein!
Hektisch löste sie sich von Aaron und griff suchend in ihre Hosentasche.
«Das Fläschchen. Wo ist es?»
Aaron streckte besänftigend seine Handfläche nach vorn.
«Es ist hier.» Er hielt es Jenny entgegen. «Es gehört dir, ich habe es nur für dich aufbewahrt.»
Sie nahm es in die Hände und sah es sich genauer an. Noch immer drehte sich eine helle Lichtkugel darin. Jenny drückte es an ihr Herz, streifte dann das Lederband über den Kopf und ließ das Fläschchen unter ihrem Pullover verschwinden. Fragend sah sie Aaron an.
«Was ist damit passiert? Jetzt kannst du es mir doch sagen, oder?»
Er nickte.
«Darüber sprechen wir gleich. Aber setzen wir uns doch erst einmal gemütlich zusammen und unterhalten uns von Bundmitglied zu Bundmitglied. Was meinst du?»
Mit der Hand wies er ihr einen Platz am Esstisch.
«Ich ein Bundmitglied?» Jenny schrie fast.
Der Esstisch saß gerammelt voll. Die Leute stauten sich bis ins Wohnzimmer und den Flur hinaus. Jenny wunderte sich, wo sie plötzlich alle hergekommen waren. Neben den Ratsmitgliedern gab es viele, die Jenny noch nicht kannte, die ihr aber strahlend die Hand reichten und sich vorstellten. Es waren weitere Wächter und Krieger darunter, wie man an ihrer Statur erkennen konnte. Sie hatten sich maskiert, um ihre Tarnung nicht zu gefährden. Schließlich war Jenny eine Heranwachsende. Dann gab es einige Humānimi, deren Aufgabe nicht so offensichtlich war. In einem der Anwesenden erkannte Jenny ihren Schulbusfahrer Toni wieder. Nun war Jenny einiges klar, insbesondere die Tatsache, warum sie mit dem Bus häufig auch ohne Konrad und Eva, von Dunklen unbehelligt, zur Schule und
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